: Unerläßlich – überflüssig – gefährlich?
Disput um Wahlwerbung und rechtsradikale Propaganda / Politischer Durchblick verzweifelt gesucht ■ Von Ulla Küspert
Das Privileg der Parteien, vor Wahlen in Funk und Fensehen direkt für sich zu werben, läßt sich nicht aus dem Grundgesetz herleiten. Durch die Rundfunkgesetze und die Rechtsprechung sei die Parteienwerbung dennoch grundsätzlich legitim und im Interesse der Demokratie, erklärte der ehemalige Bundesverfasssungsrichter Ernst Benda vorgestern in Hamburg. Seine Feststellung, daß die Parteien keinen Verfassungsanspruch auf elektronische Wahlpropaganda geltend machen können, ist allerdings der einzige Punkt, in dem sich gegenwärtig Juristen und Medienmenschen unterschiedlichster Couleur landauf, landab einig zu sein scheinen.
Sogar die Rundfunkreferenten der Länder waren im September letzten Jahres in einem Diskussionspapier für die Ministerpräsidenten zum gleichen Ergebnis gekommen und hatten, dem Aufruf des ARD-Vorsitzenden Jobst Plog folgend, eine Abschaffung der politischen Wahlwerbung im Rundfunk empfohlen. Wie schon einmal 1989 hatten die Regierungschefs dies jedoch abgelehnt.
Auch heute, knapp sechs Wochen vor dem 13. März, der Landtagswahl in Niedersachen, die das Superwahljahr 1994 einläutet, sind die Auffassungen über die Zukunft der Wahlwerbespots nach wie vor gespalten.
Der eigentliche Gegenstand der Auseinandersetzung ist die volksverhetzende braune Propaganda, mit der die Rechtsextremisten unter Berufung auf das Parteienprivileg ungehindert auf Sendung gehen können. Während die Parteien selbst, die Parlamente und Regierungen in Land und Bund weitgehend mauern, mühten sich jetzt die Hessische Landesanstalt für privaten Rundfunk (LPR) und die Hamburgische Anstalt für neue Medien (HAM), zu einer Weiterentwicklung der Debatte beizutragen.
Benda sprach auf einer stark besuchten Veranstaltung, zu der die HAM und die ihr verbundene „Gesellschaft zur Förderung des Medienrechts“ geladen hatten, um „Rechtliche Perspektiven der Wahlwerbung im Rundfunk“ zu erörtern. Gekommen waren vor allem Juristen und Justitiare öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten und vieler privater Sender. Auch die Hanseatischen Verwaltungsgerichte waren zahlreich vertreten, darunter die Mitglieder jenes 3. Senats des Oberverwaltungsgerichts, der seit Jahren über Wahlwerbungsvorgänge im NDR befindet und dessen Urteile zugunsten der DVU viel Staub aufgewirbelt hatten.
Benda nahm die Entscheidungen des 3. OVG-Senats jedoch in Schutz. Sie seien auch „nicht schriller“ als andere und fügten sich bei der Abwägung zwischen Rundfunkfreiheit einerseits und Chancengleichheit und Meinungsfreiheit der Wahlbewerber andererseits in die Rechtsprechung auch des Bundesverfassungsgerichts ein. Das Hamburger OVG habe die – berechtigte – Frage der politischen Auseinandersetzung mit diesen „unsäglichen Gruppierungen“ aufgeworfen. „Vielleicht sollten wir nicht weggucken, sondern viel genauer hingucken als das bis heute der Fall ist“, sagte Benda. „Wir sollten sie sich präsentieren lassen und vertrauen auf den Bürger, der es durchschaut, wenn ein Werbespot ausländerfeindlich ist.“ Kritikern entgegnete der Ex-Bundesverfassungsrichter: „Wenn Sie Grund haben, den Kopf zu schütteln über das Zutrauen in den mündigen Bürger, daß er dies kann, dann sind wir am Ende mit der Demokratie.“
Ein Teil des hochkarätigen Juristen-Auditoriums zollte Benda Beifall. Der WDR-Justitiar Stephan Michelfelder erklärte Bendas Statement als „wohltuenden Kontrapunkt in dieser populistischen Diskusison“. Eine Gesetzesänderung per Federstrich sei falsch. Man dürfe nicht Spots ablehnen, wann immer man die Chance sähe, es zu tun.
Kritiker aus den verschiedensten Lagern halten dem jedoch ebenso nachdrücklich den Vorwurf der Realitätsferne entgegen. Sowohl auf der Veranstaltung der HAM wie auch der der LPR wurde nicht nur mehrfach auf die wildwüchsige Tradition des Parteienprivilegs hingewiesen, deren Anfang ZDF-Justitiar Professor Carl- Eugen Eberle auf den 4. Mai 1924 (!) datiert und die seither mehr oder weniger stillschweigend weitergepflegt wird – weniger zum Schutz der Demokratie als zum Nutzen der großen Parteien. Daß diese auch heute sich nicht auf adäquatere rechtliche Grundlagen verstehen wollten, nannte NDR- Justitiar Dr. Werner Hahn einen „bodenlosen Leichtsinn“. Hahn nahm dabei unter anderem Bezug auf Ausführungen der Bochumer Professorin für Publizistik und Kommunikation, Christina Holtz- Bacher. Diese hatte zur Fragestellung der LPR in Kassel – „Fernsehwerbung der Parteien: Unerläßlich? Überflüssig? Gefährlich?“ – auf eine Langzeituntersuchung hingewiesen, die auch bei den Parteienspots einen deutlichen Trend zur vorrangig die Gefühle ansprechenden Imagewerbung ergab. Bei der Bundestagswahl 1990 hätten solche Spots, deren „wachsende Unterhaltungsorientierung von ihrer Intention ablenkt“, bereits überwogen. Das könne längerfristige Wirkung erzeugen, gerade auch bei Jugendlichen, die noch gar nicht wählen dürfen. Deshalb seien sie gefährlich, denn dabei seien auch „unerwünschte Wirkungen nicht auszuschließen. Mit Blick auf die rechtsradikalen Parteien heißt das: diese finden durch die Spots Aufmerksamkeit, die sich zu ihren Gunsten auswirken kann.“ Der von der DVU 1992 in Schleswig-Holstein und 1993 in Hamburg verwendete berüchtigte Tarzan-Spot war genau nach diesem Muster gestrickt. Während das Hamburger Landgericht ihn als volksverhetzend einstufte und seine Zurückweisung durch zwei Privatradios bekräftigte, hatte das von Benda jetzt gelobte Hamburger Oberverwaltungsgericht dessen ungeachtet auf die demokratische Toleranz abgehoben und der Chancengleichheit wegen sogar eine zusätzliche Ausstrahlung im NDR und bei Radio Hamburg angeordnet.
Daß ein derart formales Demokratieverständnis den Zeitläuften nicht gerecht wird, ließ sich auch am Vortrag einer Reihe anderer Kritiker ablesen. Stichwort dazu ist vor allem die seit Formulierung des Grundgesetzes umwälzende Veränderung der elektronischen Medien. In den fünfziger Jahren, als es nur einen Rundfunk und ein Fernsehen gab, war es sinnvoll, diesen abzuverlangen, daß sie Wahlbewerbern Sendezeit zur Selbstdarstellung einräumen. Auch Zuteilungsschlüssel, Spotzahl und die Sendedauer von 2'30 pro Ausstrahlung entstammten dieser Zeit und seien bei der Einführung des dualen Rundfunksystems Anfang der achtziger Jahre schlicht fortgeschrieben worden.
Heute jedoch, und darauf wies nicht nur Sat.1-Justitiar Dr. Peter Lück hin, bei durchschnittlich mindestens zwölf Kanälen und schnellerem Informationsumschlag, müsse völlig neu gedacht werden, insbesondere da es mit der Digitaltechnik bald dramatisch viele Kanäle mehr geben werde. Ein Zugriff der Parteien auf 30, 50, 100 oder noch mehr Funk- und Fernsehprogramme sei nicht einzusehen.
Auch ZDF-Justitiar Prof. Eberle hält eine „grundsätzliche Neuorientierung der Parteienwerbung im Rundfunk“ für angebracht. Der Zugangsanspruch der Parteien zu Hörfunk und Fernsehen müsse heute in Frage gestellt werden. Man solle so vorgehen wie bei den Printmedien, wo jeder sich den Werbeplatz kaufen müsse. Die Parteien bekämen Steuergelder als Wahlkampfkostenerstattung, da sei es nicht einzusehen, daß die Gebührenzahler die kostenlose Wahlwerbung in öffentlich-rechtlichen Anstalten zusätzlich finanzierten. Da für die Ausstrahlung bei den Privaten dementgegen die Selbstkosten (60–80 Prozent der üblichen Spot-Preise) erstattet würden, sei das eine Ungleichbehandlung und führe zu Wettbewerbsverzerrungen unter den Sendern.
Rechtlich stützt sich Eberle auf den Artikel 10 der Europäischen Menschenrechts-Konvention (EMRK), die die Bundesrepublik anerkannt hat. Darin sind Eingriffe in die Rundfunkfreiheit, wie die Abtretung von Sendezeiten an die Parteien einer ist, stringenter definiert als im Grundgesetz: Die „Funktionsfähigkeit der Demokratie“ gilt in den EMRK-Bestimmungen nicht als unentbehrlicher Grund, die Rundfunkfreiheit zu beschneiden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen