■ Plötzlich sind Evakuierungen aus Sarajevo kein Problem
: „Een scheenes Jefiehl ...“

Diese Stadt kommt in ihrem politischen Irrsinn zur Vollendung: Sarajevo. Sie ist in eine dreifache Souveränität eingesperrt: Einmal in die des von der UNO, Bonn und tutto quanti anerkannten souveränen Bosniens. Zum anderen in die der UNO, UNHCR, Unprofor, Unicef etc. Das wird dem Helfer dann deutlich, wenn er aus eigener Kraft ein Flugzeug chartern und dort landen lassen will. Dann wird er nicht etwa von räuberischen Serben, sondern von der Civpol (Civil Police) der UNO verhaftet. Dritte Souveränität: Die der serbischen Geschütze auf den Bergen rings um sowie der Scharfschützen in Sarajevo. Zwischen diesen drei teilweise deckungsgleichen Souveränitäten wird eine ganze Polis zerrieben, genauer: physisch und psychisch erdrosselt.

Aufgerieben werden aber auch die wenigen effektiven humanitären Anstrengungen. Im Ton der diplomatischen Wohlanständigkeit wurde unseren Cap- Anamur-Ärzten von dem phantastischen Auswärtigen Amt wie von Genf immer Briefe geschrieben, in denen uns die totale Unmöglichkeit, ja geradezu die metaphysische Verwegenheit dargestellt wurde, einfach 50 oder gar 100 Schwerstverletzte schnell herauszufliegen aus Sarajevo. Naiv hatten wir uns am 1. Januar 1993 gesagt, wir müßten innerhalb von 14 Tagen, na, es könnten auch 15 Tage sein, 300 Verletzte nach Deutschland ausfliegen. Wir hatten die Rechnung ohne die Kommissionen in Sarajevo (drei Ebenen: UNHCR, Unicef, WHO) gemacht, die die Kandidaten nach vielen Geheimkriterien des Genfer UN-Logen-Betriebs durchcheckten – und nach Wochen den approbierten Ärzten aus Deutschland ihre Selektion vorwarfen: Friß, NGO-Humanitärer oder hau ab! So konnten nach zwei Monaten unsere ersten 28 Patienten ausgeflogen werden. Das waren Kinder, weil es damals hieß, Erwachsene würden überhaupt nicht von der UNO ausgeflogen. Doch wenn eine Regierung es will, wie damals John Major im Fall der fünfjährigen Irma, oder jetzt die US-Regierung mit den schnell ausgeflogenen Verletzten – dann geht das. Schließlich handelt es sich dabei ja auch um politische PR, um Gesichtswahrung und um Wohlanständigkeit solcher Gipfelleute, die ihren Bevölkerungen wenigstens das beweisen müssen, was Tucholsky sagte: „Einmal in 23 Monaten, da tun wir so, als ob wir täten. Det is een scheenes Jefiehl!“

Die Bevölkerung hat alles nur erdenkliche Recht, unsere Lahmarschigkeit zu verachten. Eine Verlegenheit, die sich mehrmals am Tag in dröhnenden Jet- Flügen über der Stadt und nun im Ausflug von 100 Patienten dokumentiert – so als sei das schon immer möglich gewesen. Rupert Neudeck