Rinder-Aids jetzt auch in England nachgewiesen

■ Mehrere Herden sind betroffen / Landwirtschafstministerium sieht keine Gefahr

Dublin (taz) – Eine Rinderherde in der englischen Grafschaft Cheshire ist an einer bovinen Form von Aids erkrankt. Sämtliche der 50 Tiere sind von der Krankheit befallen, wie der Independent on Sunday erfahren hat. Der Bauer, dem die kranken Tiere gehören, will anonym bleiben. Er sagte der Zeitung, daß Tierärzte vom Landwirtschaftsministerium bisher acht Kühe untersucht haben. Bei keiner habe man Hinweise auf den Rinderwahnsinn BSE oder eine andere meldepflichtige Krankheit festgestellt. Bei zwei Kühen sind jedoch Antikörper gegen den „bovinen Immunschwächevirus“ BIV gefunden worden.

Es ist das erste Mal, daß BIV- positive Fälle in Großbritannien bekannt geworden sind. Ein Sprecher des Landwirtschaftsministeriums sagte jedoch, daß der Virus keineswegs neu sei. Untersuchungen von 200 Kühen im Jahr haben in der Vergangenheit einige BIV- positive Fälle ans Licht gebracht. Man habe diese Untersuchungen jedoch nie veröffentlicht, weil „es dafür keinen Grund gab“.

Der Independent behauptet, daß die Krankheit in mindestens zwei weiteren englischen Herden ausgebrochen sei. In den USA ist der BIV-Virus spätestens 1972 zum ersten Mal aufgetreten. Allerdings fanden die Wissenschaftler das erst 15 Jahre später heraus, als sie gefrorene Gewebeproben erneut untersuchten. Testreihen deuten darauf hin, daß der BIV- Virus bei etwa acht Prozent der Rinder in den USA auftritt.

Wie und wann die Krankheit schließlich ausbricht, ist nicht genau bekannt. Die Symptome sind jedoch ähnlich wie beim menschlichen Immunschwächesyndrom: Die Rinder leiden unter Atemnot, an Ausschlägen am ganzen Körper, Entzündungen des Nasen- und Rachenraumes und verlieren ständig an Gewicht.

Der Bauer aus Cheshire, der vor dem finanziellen Ruin steht, ist davon überzeugt, daß der Virus sowohl von der Kuh auf das Kalb („vertikal“), als auch von Kuh zu Kuh („horizontal“) übertragen wird. Er sagt, daß die Symptome erstmals im vergangenen Jahr aufgetreten sind, nachdem er Kühe aus Deutschland und den Niederlanden importiert hatte. Innerhalb weniger Wochen habe sich die gesamte Herde angesteckt. Auch gesunde Tiere, die er in den letzten Monaten gekauft habe, seien binnen zweier Wochen von der Krankheit befallen worden. Bei Kälbern sei es besonders schlimm. Obwohl sie mehr fressen als gesunde Tiere, wachsen sie nicht und sterben schließlich an Entkräftung.

Da die staatlichen Veterinäre offiziell keine Todesursache angeben können, zahlt die Versicherung keinen Penny. Inzwischen nimmt auch die Milchgenossenschaft dem Bauernhof keine Milch mehr ab.

Dennoch spielt das Landwirtschaftsministerium das Problem herunter. Ein Sprecher sagte, daß Rinder aus infizierten Herden, die selbst keine Symptome aufweisen, durchaus für den menschlichen Verzehr geeignet seien. Selbst wenn Tiere bei dem Antiköpertest positiv reagierten, bedeute das noch lange nicht, daß sie tatsächlich mit dem BIV-Virus infiziert seien. An eine Quarantäne sei nicht gedacht. Joe Brownlie, Virologe am Tierinstitut in Berkshire, glaubt, daß der BIV-Virus zwar eng mit dem HIV-Virus beim Menschen verwandt sei, aber dennoch „zweifellos keine Gefahr für den Menschen“ darstelle. So sei es nicht gelungen, menschliche Zellen in Labortests mit dem BIV-Virus zu infizieren.

Was von den beschwichtigenden Worten aus dem Landwirtschaftsministerium zu halten ist, wurde beim Rinderwahnsinn BSE deutlich, an dem bereits mehr als 100.000 Tiere eingegangen sind. Jahrelang behauptete das Ministerium, daß die Krankheit unter Kontrolle sei, weil nicht übertragbar und lediglich wegen infizierter Futtermittel ausgebrochen sei. In der vergangenen Woche gab das Ministerium endlich zu, was unabhängige Wissenschaftler schon lange wußten: Ungeborene Kälber können sich in der Gebärmutter mit BSE anstecken. „Die staatlichen Tierärzte behandeln uns wie Idioten“, sagte auch der Bauer in Cheshire. „Man darf zwar BIV erwähnen, aber sobald jemand ,Rinder-Aids‘ sagt, gehen sie an die Decke.“ Ralf Sotscheck