■ Britischer Abgeordneter erwürgt aufgefunden:
: Mit Nylonstrümpfen bekleidet

Dublin (taz) – Die Serie der Katastrophen bei den britischen Tories reißt nicht ab: Am Montag nachmittag fand die Polizei die Leiche des 45jährigen Abgeordneten Stephen Milligan, der nach Auskunft der Polizei „unter verdächtigen Umständen“ ums Leben gekommen ist. Verschiedene Zeitungen behaupteten, daß ein Selbstmord nicht ausgeschlossen werden könne. Ein Parteikollege, der noch am Freitag mit ihm gesprochen hatte, sagte jedoch: „Er war sehr zufrieden und sehr entspannt – ganz und gar nicht wie ein Selbstmörder.“ Außerdem deutete ein Polizeibeamter an, daß Milligan gefesselt und geknebelt war und vermutlich erwürgt worden sei. Außerdem soll er nur mit Nylonstrümpfen und Strumpfhalter bekleidet gewesen sein, als er von seiner Sekretärin gefunden wurde. Bisher war Milligan lediglich durch seine übergroße Loyalität zu Premierminister John Major aufgefallen, der deshalb wohl auch große Hoffnungen in ihn gesetzt hatte. Bevor er vor zwei Jahren ins Parlament gewählt wurde, war Milligan Journalist bei der Sunday Times, dem Economist und der BBC. Sein politischer Aufstieg begann rasant: Kurz nach seiner Wahl wurde er bereits zum parlamentarischen Sekretär im Verteidigungsministerium ernannt, was von KollegInnen als erster Schritt auf dem Weg ins Kabinett gewertet wurde. In seiner Jungfernrede im Unterhaus sagte er, daß er stolz darauf sei, Pro-Europäer zu sein, schränkte jedoch ein: „Enthusiasmus für Europa heißt nicht, daß ich jede Idiotie unterstütze, die Delors vorschlägt.“ Milligan, der dem „linken“ Tory-Flügel zugerechnet wurde, ließ keine Gelegenheit verstreichen, sich bei Major einzuschmeicheln: Stets lobte er ungefragt dessen „Höflichkeit und deutliche Worte“.

Für Major wird es langsam eng. Seine Parlamentsmehrheit beträgt jetzt nur noch 18 Stimmen. Ob die Tories den Sitz bei der nun erforderlichen Nachwahl erneut gewinnen können, ist keineswegs sicher. Zwar hatte Milligan in seinem Wahlkreis Eastleigh in Südengland bei den Wahlen 1992 knapp 18.000 Stimmen Vorsprung vor dem Kandidaten der Liberalen Demokraten, doch im 50 Kilometer entfernten Christchurch haben die Tories bei einer Nachwahl im vergangenen Jahr einen Vorsprung von 23.000 Stimmen vergeigt. Schlimmer als das weitere Schrumpfen der Parlamentsmehrheit ist für Major der Fatalismus, der sich bei den Tories so kurz vor den Gemeindewahlen im Mai breitmacht. Nachdem seine Kampagne für eine „moralische Erneuerung“ aufgrund der außerehelichen Affairen zahlreicher prominenter Tories und der Aufdeckung von Wahlkreismanipulation und Günstlingswirtschaft im Januar in den Startlöchern steckengeblieben war, hatte der Premierminister am Wochenende durch eine selbstbewußte und für seine Verhältnisse fast mitreißende Rede wieder etwas Fuß gefaßt.

Um so größer war der Schock, den die Nachricht vom Tod Milligans am Montag ausgelöst hat. Viele konservative Abgeordnete standen völlig verstört in den Wandelgängen des Parlaments und sprachen über ihren verstorbenen Kollegen. Parteifunktionär Andrew Mackay sagte, daß Milligan ein „Workaholic“ gewesen sei und keine Feinde hatte. Ein anderer Abgeordneter sagte: „Sein Tod ist so ziemlich das letzte, was wir jetzt gebrauchen können.“ Zwar kann niemand den Premierminister für dieses neuerliche PR-Desaster verantwortlich machen, aber bei den Tory-Hinterbänklern setzt sich langsam der Verdacht fest, daß Major das Pech an den Stiefeln klebt. Und wer will schon mit einem notorischen Pechvogel in den Wahlkampf ziehen? Ralf Sotscheck