■ Replik auf Bundeswehrgeneral a. D. von Kielmansegg
: Aktionistische Hektik nach dem Massaker von Sarajevo

Also müssen nun die Waffen sprechen, fordert General von Kielmansegg. Unsere Waffen, Nato-Waffen, versteht sich. Der Ruf ist so alt wie der Bosnien- Krieg selbst. Seltenheitswert hat dagegen die Begründung. Sie begnügt sich nicht mit den bekannten moralischen und politischen Argumenten, sondern stellt die These der militärischen Machbarkeit in den Mittelpunkt. Werden wir, die wir keine Experten für Kriegführung sind, daraus klüger?

Die Liste der sieben militärischen Optionen, die Kielmannsegg vorschlägt, gleicht den in strategischen Sandkastenspielen beliebten Eskalationsleitern. Schritt für Schritt werden die Operationen ausgeweitet und wird der Mitteleinsatz erhöht. Hier beginnt es mit Waffen- und Ausrüstungshilfe für die moslemischen Bosnier und endet bei Angriffen auf Ziele im serbischen Stammland. Stufe drei markiert die Schwelle zum Luftkrieg, Stufe vier den Übergang von Luft- zu Landoperationen. Auf der sechsten Stufe kämpfen bereits Bodentruppen der Interventionsstaaten („bis zu 100.000 Soldaten“) an der Seite einheimischer Streitkräfte. Über Stufe acht – und folgende – darf spekuliert werden.

Damit in jeder genannten Phase alles so reibungslos abläuft, wie es sich liest, ist offenbar vorgesehen, daß nennenswerte Gegenwehr nicht stattfindet. Dies jedenfalls suggeriert die optimistische Zeichnung des militärischen Lagebildes und des zu erwartenden Kampfverlaufs: Der Westen besitze ja schon die Luftüberlegenheit, die meisten Angriffsziele seien aufgeklärt und ein Partisanenkrieg müsse nicht befürchtet werden.

Aber Kämpfen auf dem Balkan, so haben Militärs immer wieder gewarnt, wäre keine Schlacht gegen Schießscheiben, die nicht antworten, wie vor drei Jahren der Wüstenfeldzug gegen Saddam Husseins demoralisierte Republikanische Garden. Jugoslawien gilt als das Land des Untergrundkampfes. Seine Volksarmee ist darin ausgebildet und folglich auch die Banden von Desperados und Marodeuren, die daraus hervorgingen. Läßt es sich wirklich verantworten, den vorhandenen Kriegsparteien eine weitere hinzuzufügen und zu riskieren, das Gemetzel noch zu steigern?

Jedes Land, das seine Soldaten in einen solchen Krieg schickt, hat das natürliche Interesse, sie so vollzählig und unversehrt wie möglich zurückzubekommen. Es wäre gehalten, stets die nächstschwerere Waffe, das nächstgrößere Kaliber zu wählen, um sie zu schützen. Kann das beitragen zur Verkürzung des Grauens und zur Verminderung seiner Opfer?

Kielmansegg spart nicht mit Verweisen und Anspielungen auf die vermeintlich positiven Erfahrungen des Golfkrieges. Sicher stimmt es, daß die westlichen Luftwaffen heute über Angriffsmittel hoher Treffgenauigkeit und verringerter Kollateralwirkung verfügen. Aber diese Waffen sind teuer und nur begrenzt vorhanden.

Gerade der Golfkrieg widerlegt den Mythos vom „klinisch sauberen“ Kampf mit „chirurgisch präzisen“ Instrumenten. Nur ein sehr kleiner Teil, weniger als zehn Prozent des verschossenen Sprengstoffs, bestand aus gelenkter Munition. Die Masse der Angriffsmittel waren ungelenkte Streu- und Schüttbomben. In Form der berüchtigten Teppich-Bombardements gegen die schwach gepanzerten irakischen Truppen eingesetzt, zeitigten sie verheerende Wirkung.

Gemessen am Verhältnis von Kampfdauer, eingesetzten Mitteln und Schadensumfang, stellt der Golfkrieg die massivste Kriegshandlung dieses Jahrhunderts dar. Verblüffend waren zwar die geringen Verluste, gering aber nur für die hoch überlegenen Interventionsmächte, nicht für den besiegten Gegner.

Weitgehend im unklaren läßt Kielmansegg die Leser über die Kräfte, die er für seine einzelnen Optionen braucht. Von zwei bis drei Brigaden ist da die Rede, von einigen Divisionen, von weniger als 100.000 Mann. Das alles addiert sich schließlich zu einem scheinbar bescheidenen „Bruchteil der am Golf bereitgestellten Kräfte“. Wiederum dürfte ein Blick zurück hilfreich sein. 550.000 Soldaten hatten die Amerikaner gegen den Irak aufgeboten, ergänzt durch 250.000 alliierte Soldaten, zusammen rund 800.000 Mann. Wieviel davon ist ein Bruchteil? 200.000? 400.000? Und wer soll sie stellen?

Noch viel unbestimmter fallen andere Auskünfte aus, die man von einem Fachmann gern genauer hätte. Beispiele: Anzahl der abzuriegelnden serbischen Nachschubwege? „Weniger, als man glaubt.“ – Zu erwartende eigene Verluste? „Geringer als oft behauptet.“ – Dauer der Gesamtoperation? „Kürzer als befürchtet.“ – Dauer der anschließend weiterhin nötigen Anwesenheit von UN- Truppen? „Längere Zeit.“ Vermutlich wird kein verantwortlicher Politiker in einer Frage dieser Tragweite auf eine solche Art Expertise sein eigenes Urteil stützen. Der politisch wache Laie sollte es auch nicht tun.

Alle westlichen Spitzenmilitärs, vom Nato-Oberbefehlshaber Shalikashvili über dessen Chefplaner Vincent bis zum amerikanischen Generalstabschef Powell, haben auf die Frage nach erfolgsfähigen und vertretbaren Szenarien für ein bewaffnetes Eingreifen von außen in den jugoslawischen Bürgerkrieg regelmäßig abgewinkt. Für Kielmansegg hingegen ist „seine Beendigung durch entschlossene militärische Hilfe [...] geboten, möglich und erfolgversprechend“. Im direkten Gegensatz dazu befand der ranghöchste deutsche Offizier, Generalinspekteur Naumann: „Vor allem aber ist eine rasche Konfliktbeendigung durch militärische Mittel nicht zu erreichen. Die Lehre aus der Tragödie in Bosnien kann nur sein, künftige Konflikte vorbeugend zu verhindern.“ Die besonnenen Stimmen passen schlecht in den Chor aktionistischer Hektik nach dem Massaker auf dem Markale-Markt in Sarajevo. Im Aufwind liegen die anderen, die aufgebrachten, die nach effektvollen, vermeintlich durchschlagenden Lösungen rufen. Ihr Elend besteht darin, zu der einzig bedeutsamen Frage, wie die geschundenen Menschen in einem versinkenden Land ein Mindestmaß an Frieden wiederfinden, auch nicht die allerwinzigste Idee beizusteuern.

Krieg ist kein Naturunglück, sondern Menschenwerk, nicht Schicksal, sondern Politik. Auch Kriegseindämmung ist Politik und erfordert Politik. Solange die Geschütze auf den Bergen um Sarajevo Wehrlose töten und nebenher auf die Fernsehschirme der Welt zielen, werden sie nicht zuletzt bei uns die fatale Illusion nähren, Frieden ließe sich herbeischießen. Reinhard Mutz

Der Autor arbeitet am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg; von Kielmanseggs Text „Moralisch geboten, politisch zweckmäßig – Plädoyer für militärische Hilfe“ erschien am Donnerstag, dem 3. 2. 94, auf dieser Seite.