Der Antichrist auf der Durchreise

„In einer kleinen Stadt“ – Stephen King, die 29ste / Charlton Hestons Sohn hat die 700-Seiten-Schwarte „Needful Things“ verfilmt / Das alte Lied: Kleinstadt, Grauen, Terror  ■ Von Karl Wegmann

Es gibt Hunderte verschiedener Rezepte für Spaghetti, aber sie schmecken alle wie Spaghetti. Und es gibt weit über hundert Stephen- King-Geschichten, aber jeder erkennt sofort, daß es sich um eine Phantasie des Horrorautors handelt. Wenn es also Herbst ist im Staate Maine und das kleine, offensichtlich friedliche Städtchen Castle Rock bekommt Besuch von einem schwarz gekleideten Herrn, dann wissen wir: Aha, King! Kleinstadt, Grauen, Terror. Bestimmt keine Liebesgeschichte.

„In einer kleinen Stadt“ (Needful Things) ist die 29. King-Verfilmung, Nummer 30 und 31 sind auch schon abgedreht, und Nummer 32 ist gerade in Arbeit; man fragt sich schon lange: Muß das wirklich sein? Die Frage ist selbstverständlich müßig, denn solange mit dem Namen Stephen King ein Dollar zu machen ist, solange wird weiter gedreht. Manchmal kommt ein ganz passabler Film dabei heraus. Als bester Adapter zwischen Buch und Leinwand erwies sich Regisseur Rob Reiner. Seine Verfilmungen von „Stand By Me“ und „Misery“ sind zweifellos die gelungensten Umsetzungen. Auch für „In einer kleinen Stadt“ ist Rob Reiner mitverantwortlich, seine Firma Castle Rock Entertainment (!) produzierte. Die Regie übernahm Fraser C. Heston. Den kennt zwar kein Mensch, dafür ist sein Vater Charlton um so berühmter.

Heston Junior gab nach dem Abschluß der Arbeit freimütig zu: „Manchmal kam ich mir sehr unvorbereitet vor, doch irgendwie gelang es mir, mich durchzuwursteln.“ Das sieht man. Von der 700-Seiten-Schwarte über die menschliche Gier nach materiellen Dingen blieb nur ein hastig zusammengestückeltes Gerüst übrig. Für die bösen Überraschungen und bizarren Wendungen, die King berühmt machten, bleiben weder Platz noch Zeit. Der pyromanische Exzeß am Ende dagegen wird schön breit ausgewalzt. Trotzdem gibt es da jemanden, der den Film doch noch interessant macht, und das ist der Teufel – gegeben von Max von Sydow .

In der kleinen Stadt leben kleine Leute. Polly Chalmers zum Beispiel, Betreiberin eines Cafés. Oder Netti Cobb, die Kellnerin mit der schlimmen Vergangenheit; Danforth „Buster“ Keeton, der Boote verkauft und von seiner Wettleidenschaft geplagt wird, und natürlich Sheriff Alan Pangborn, der scharf auf Polly ist. Dann kommt, in einem alten schwarzen Mercedes, der Fremde in die Stadt. Leland Gaunt, ein äußerst charmanter älterer Herr aus Akron, Ohio, wie er behauptet. Er eröffnet einen Antiquitätenladen; „Needful Things“ nennt er ihn. Dort gibt es alte Baseballkarten, Vasen, Art- déco-Lampenschirme, Elvis-Presley-Fotos und Nippesfiguren. Natürlich hat alles seinen Preis. Doch Preisschilder stellt Leland Gaunt nicht auf. Der größte Spaß besteht für ihn darin, herauszufinden, was die kleinen Leute von Castle Rock für ihre geheimsten Träume, ihre verborgenen Sehnsüchte zu zahlen bereit sind. Geld will der mysteriöse Trödler nicht, er bittet seine Kunden statt dessen jeweils um einen kleinen Gefallen... Als Max von Sydow gefragt wurde, ob er die Rolle des Antichristen übernehmen möchte, war er gleich einverstanden: „Ich wußte sofort, es würde Spaß machen. Leland Gaunt ist aalglatt, liebenswürdig, freundlich, gebildet, weltgewandt und ein meisterhafter Manipulator – so viele böse Möglichkeiten.“ So spielt er ihn dann auch: mit seinem ganzen Können, liebenswürdig und durch und durch böse. Castle Rock geht schon bald nach Ankunft des Leibhaftigen den Bach runter. Mit den „kleinen Gefallen“, um die Gaunt die Alteingesessenen bittet, kommt der Horror. Da wirft der kleine Junge (im Tausch gegen ein seltenes Baseball-Sammelbild) Truthahnscheiße auf frisch gewaschene Bettlaken, ein unbescholtener Mann wird zum Hundekiller, enge Freunde werden zu Feinden, Nachbarn beginnen sich zu hassen, Pfaffen drehen hohl, und es kommt zu ersten Metzeleien. Leland Gaunt alias der Bocksbeinige hat dabei seinen diabolischen Spaß – wenn man ihn mit „Grüß Gott“ anredet, merkt er nur achselzuckend grinsend an: „Warum eigentlich nicht?“ Irgendwann kommt dann der Sheriff dahinter, daß da etwas verdammt schief läuft in seiner Stadt. Doch es ist vollbracht. Der Teufel sagt artig danke und zieht weiter.

Wenn Fraser C. Heston sich auf die Ausdrucksstärke seiner Schauspieler verlassen hätte, neben von Sydow fällt vor allem die wunderbare Amanda Plummer (sie spielte Robin Williams Angebetete in Terry Gilliams „König der Fischer“) als kreuzbrave, verletzliche Nettie Cobb positiv auf, wäre aus diesem Kleinstadt-Faust vielleicht ein ganz nettes Gruselfilmchen geworden. So, mit dem ganzen F/X-Firlefanz, angefangen von den in Horrorfilmen sehr beliebten blauen Blitzen (um unheimliche Energieströme zu zeigen) bis hin zur Kirchensprengung, ist es eben nur die 29ste King-Verfilmung – eine weitere Spaghetti-Variante.

„In einer kleinen Stadt“, Regie: Fraser C. Heston, mit Max von Sydow, Ed Harris, Amanda Plummer u.a.; USA 1993; 120 Min.