Polnische Sozialdemokraten waren „zu liberal“

■ Regierungskrise beendet / Von nun an sollen die Wirtschaftsreformen „mehr den Menschen dienen“ / Name des neuen Finanzministers ist jedoch noch geheim

Warschau (taz) – Polens Kabinettskrise ist nach dem Rücktritt von Finanzminister Marek Borowski zumindest vorläufig beigelegt worden. Am Dienstag abend trafen sich die Parteiführungen der Sozialdemokraten und der Bauernpartei zu einem „Geheimgespräch“. Anschließend teilten sie der Presse mit, beide Seiten seien entschlossen, die Koalition zu erhalten. Premier Waldemar Pawlak hat den Rücktritt seines Finanzministers angenommen, Präsident Lech Walesa hat ihn verfassungsgemäß gegengezeichnet.

Nach Aussage Borowskis gibt es bereits einen Nachfolger, dessen Name noch geheimgehalten wird. Im Vorfeld des Gesprächs hatte Pawlak jedoch auch Meinungsverschiedenheiten zwischen den Koalitionspartnern über die Privatisierung und die Wirtschafts- und Finanzpolitik erkennen lassen. Die derzeitige Linie sei „zu liberal“, er sei der Ansicht, die Reformen müßten „mehr den Menschen dienen“, kritisierte Pawlak.

Die Parteiführung der Konföderation Unabhängiges Polen hatte dem Regierungschef angeboten, mit ihr und der „Union der Arbeit“ ohne die Sozialdemokraten eine Regierung zu bilden. Pawlak ging darauf nicht ein, doch hat diese Initiative den Sozialdemokraten deutlich gemacht, daß es im Parlament im Grunde eine Mehrheit gegen den bisherigen monetaristischen Antiinflationskurs gibt, die sich leicht gegen sie wenden kann. Der Graben zwischen Gegnern und Befürwortern weiterer Privatisierungen, des Antiinflationskurses und eines geringen Budgetdefizits zieht sich aber auch durch die Sozialdemokratie selbst. Finanzminister Borowski war einer der Vertreter dieses liberalen Flügels.

Im Gespräch für seine Nachfolge sind neben dem ebenfalls „liberalen“ Privatisierungsminister Kaczmarek aber auch Befürworter einer freigiebigeren Finanzpolitik, wie der Breslauer Wirtschaftsprofessor Jozef Kaleta. Dessen Vorstellungen kämen auch den ehemals kommunistischen Gewerkschaften OPZZ, die im Parlament 60 Abgeordnete stellen, und großen Teilen der Bauernpartei entgegen. Zusammen mit der Union der Arbeit fordern sie eine Abschaffung der gesetzlichen Begrenzungen für Lohnerhöhungen in Staatsbetrieben, höhere Sozialausgaben und Agrarsubventionen. Eine höhere Inflation würde ihnen zufolge für mehr Nachfrage und damit Wachstum führen. Wer immer Borowskis Nachfolger werden will, muß die Zustimmung von Präsident Walesa finden, der die Ernennungsurkunde unterzeichnen muß. Und Walesa hat bisher noch jedesmal Finanzminister durchgesetzt, die Experimenten abhold waren. Klaus Bachmann