Ton, Rhythmus und all that Jazz

„Früher wollte ich Jacques Derrida sein, heute lieber Edmund Wilson“: Henry Louis Gates jr. über Toni Morrison und andere schwarze Stimmen. Mit dem smartesten Black Spokesman seit Spike Lee sprachen  ■ Mariam Niroumand und Thomas Groß

„Wir Schwarze brauchen unseren eigenen Roland Barthes, Mann“, schreibt der afroamerikanische Journalist Greg Tate – und hat dabei Henry Louis Gates Jr. im Auge, eine Figur, die „Black Studies“ in den USA über die akademischen Inner Circles hinaus populär gemacht hat. Gates' Methode: Broadcasting. Er ist nicht nur Professor für Literatur und Leiter des Department for Afro-American Studies in Harvard, er hat auch schon eine Fernsehserie betreut („The Image of the Black in the Western Civilization“), tritt selbst – als eine Art Spokesman – im Fernsehen auf und schreibt für die „New York Times Book Review“, die „Washington Post“ u.a. Wichtigste Veröffentlichungen: „Black is the Color of the Cosmos“ (1982), „The Slave's Narrative“ (1983), „,Race‘, Writing and Difference“ (1986, jeweils als Hrsg.), „Figures in Black“ (1987), „The Signifying Monkey“ (1988). Auf Deutsch sind bislang nur Auszüge in dem von D. Diederichsen herausgegebenen Sammelband „Yo! Hermeneutics!“ (1993) erschienen.

taz: Mr. Gates, Sie sind nicht zum ersten Mal in Berlin. Hat sich für Ihren Blick etwas verändert?

Henry Louis Gates jr.: Nun, es leben sehr viele Kollegen und Freunde von mir hier, also bin ich auf dem laufenden, was die ethnischen Spannungen angeht. Ich bin hier vor allem mit einer weißen Frau unterwegs, und ich merke, wie ich angesehen werde, von Bauarbeitern, Leuten auf der Straße. Über allem liegt diese Schicht von Rassismus – man kommt gar nicht drumrum, das so zu sehen. Natürlich sind da auch Stereotypen wirksam. Barbara Johnson hat eine sehr schöne Definition von Rassismus als einem „bereits gelesenen Text“. Ich klinke mich also in diesen Text über „blackness“ ein, in einem Kontext, der extrem spannungsgeladen ist. Mir ist nichts passiert in der Stadt, aber es ist nicht wirklich angenehm.

Sie schreiben – in diesem Fall über den Journalisten Greg Tate: „Die erste Aufgabe eines Kulturkritikers besteht darin, eine eigene Stimme zu schaffen.“ Was ist das für eine Stimme? Singt sie, doziert sie? Was ist ihr Ort?

Das war zunächst mal als Provokation gemeint. Was ich nicht mag, das ist „ethnic cheerleading“: sich zum Vortänzer machen für eine bestimmte Linie, auf die man sich geeinigt hat, und mit der man dann in der Öffentlichkeit auftritt. Vor allem in schwarzen Zusammenhängen geht es darum, eine kritische, eigene Tradition zu entwickeln, was heißt: Wir müssen uns gegenseitig intellektuell herausfordern können, ohne daß die persönliche Integrität des einzelnen angekratzt ist. Was Greg Tate anbelangt: Ich mag es eben, wie er schreibt, umgangssprachlich, im schwarzen Slang.

Wie verhält sich Ihre Stimme zu seiner?

Ich habe gerade ein Buch herausgebracht, „Colored Memoir“, worin ich versuche, die Sprechweise der Leute zu imitieren, mit denen ich aufgewachsen bin – ähnlich wie das Toni Morrison auch in ihrem Roman „Jazz“ macht, nur natürlich auf einem bescheideneren Level. Ich mag gesprochenes schwarzes Englisch, seinen Ton, seinen Rhythmus. Ich hoffe, daß das mich auf dem Weg hin zur Belletristik einen Schritt weiterbringt, denn das ist es, was ich eigentlich will. Der akademische Jargon langweilt mich. Bis man eine Festanstellung hat, muß man natürlich daran arbeiten; ich habe auch mal wie ein Journalist, dann wieder wie ein Dekonstruktivist geschrieben – die New York Times hat Dekonstruktivismus übrigens letzten Sonntag offiziell begraben, also das war's dann wohl. Früher wollte ich mal Jaques Derrida sein, jetzt lieber Edmund Wilson.

Sollte man Theorie als „Performance“ betreiben, sie mit Alltagssprache mischen, damit ein unakademisches intellektuelles Stadtwelsch dabei herauskommt?

Das ist doch längst der Fall. Was Toni Morrison in „Jazz“ macht, ist ein Beispiel dafür. Auf der einen Seite ist da in Anspielungen und Tonfällen noch die religiöse Tradition spürbar, Spirituals und Gospels, die gesprochene schwarze prophetische Stimme. Genauso aber Jazz, Blues, die ganze Bandbreite der säkularen und städtischen schwarzen Diskurse. Nennen wir's „magischen Naturalismus“, dieses vielstimmige Register sprachlicher Repräsentation.

Das ist natürlich auch ein Beispiel für die enorme Diversifikation „schwarzer“ Kultur. Gibt es irgendeine kulturelle Klammer, die den Buppie noch mit dem Ghetto-Kid verbindet?

Film schafft das schon, Bücher nicht unbedingt. 45 Prozent aller Schwarzen in Amerika sind faktisch Analphabeten. Wie sollen die ein Buch wie „The Signifying Monkey“ lesen? Oder „Jazz“? Natürlich würde ich schon gerne von allen gelesen. Jeder von uns fühlt sich doch für die Black Community verantwortlich, als Repräsentant, auch wenn einen niemand gewählt hat. Man kriegt seinen Job ja oft genau deshalb. Selbst wenn man den Job kriegt, weil man der smarteste Mathematiker der Welt ist, erscheint man im Bericht als der Quoten-Schwarze. Das kann ziemlich haarig werden, dieses Dasein als nichtgewählter Repräsentant, zumal wenn die Leute nicht mögen, was man schreibt. Dann wird Druck ausgeübt, es gibt Versuche, zu zensieren, die um jeden Preis abgewehrt werden sollten – ob es nun um Rap geht, ein linkes Statement oder auch bloß irgendeinen konservativen Spruch. Wir brauchen eine Community kritischer Intellektueller, die sich ernsthaft mit diesen Problemen auseinandersetzen.

Die Vorstellung kollektiver Veränderung knüpft sich sowohl im HipHop als auch in Texten afroamerikanischer Intellektueller immer an die Community. Was für eine Vorstellung sozialer Identität steht hinter diesem Gedanken? Ist es der schwarzen Community möglich, so etwas wie innere Kohärenz herzustellen – und ist das überhaupt notwendig?

Nein, ist es nicht. Von Kanada etwa erwartet ja auch niemand, daß es in einer einheitlichen Sprache spricht, und es gibt weniger Kanadier als schwarze Amerikaner. Was uns viel eher fehlt, sind neuere Analysen, die erklären, was uns wirklich unterdrückt. Wir haben gleichzeitig die größte schwarze Mittelklasse, die es je gegeben hat, aber auch die größte schwarze Unterschicht. Es gibt keine Theorie, die das erklären kann. Die Bürgerrechtsbewegung basierte auf der Vorstellung, daß, sobald wir die rechtliche Segregation abgeschafft hätten, der Weg frei wäre in den Mittelstand. Die einzige genauso bekloppte Idee war, anzunehmen, daß mit dem Fall der Berliner Mauer alle Ostberliner in den Mittelstand aufrücken würden. Wir müssen eben herausfinden, wie sich Rasse und Klasse zueinander verhalten.

In der europäischen linken Tradition gibt es seit Marx nun einmal diese Suche nach dem Subjekt, das in der Geschichte etwas bewirken kann – mit dem Erfolg, daß es auf immer machtlosere Gruppen projiziert wurde: die Frauen, die Kinder, die Irren, die Künstler. Wenn dieses Subjekt im schwarzen Kontext nicht durch Klasse, nicht durch Geschlecht und schon gar nicht durch Ethnizität definiert ist, wodurch dann?

Es wird eben von all diesen Faktoren bestimmt. Aufgrund von „Rasse“ ein Opfer zu sein, ist nicht genug. Wenn ich behaupte, daß ich unter derselben Unterdrückung leide wie die Jungs, die in „Menace II Society“ zu sehen sind, dann ist das eine Lüge. Nicht daß ich nicht zusammengeschlagen werden könnte wie Rodney King, aber seit 1965 [der Einführung des Wahlrechts für Schwarze; Red.] muß ich soziale Unterschiede unter Schwarzen zur Kenntnis nehmen, wo es vorher nur Nigger gab. Diese sozialen Unterschiede haben für ziemliche Verängstigung in der schwarzen Community gesorgt, ich nenne das von meiner Position auch „das Schuldgefühl des Survivors“. Dies wiederum führt zu dieser romantischen Vorstellung von der schwarzen Nation, der „Supra- Nation“, wie Cornel West das ausdrückte. Für diese Position bedeutet authentische scharze Kultur immer Ghetto-Straßenkultur – egal, wo man wirklich aufgewachsen ist.

Einen ähnlichen Vorwurf der geborgten Armuts-Identität könnte man auch den Hughes Brothers machen, den Regisseuren von „Menace II Society“...

Ich mochte den Film ästhetisch sehr. Was auch interessant ist: Anders als bei Filmen wie „New Jack City“ oder „Boyz'n'the Hood“ gab es danach keine Gewalt in den Kinos. Ich glaube, das liegt daran, daß O-Dog, einer der beiden Hauptdarsteller, Filmemacher wird. So entsteht ein Film über einen Film über Gewalt, eine kritische Distanz, eine individuelle Position wie die von Toni Morrison und anderen. Es gibt andererseits keine Tradition von sozialem Realismus in der Literatur, die gibt es nur im neuen schwarzen Film. Es ist schwer, Leute politisch aufzuklären. Ist Kunst überhaupt der richtige Weg? Soll man im Weißen Haus anklopfen? Die übriggebliebenen Marxisten in den USA sind ja nur noch damit beschäftigt, die „Delete“-Tasten zu drücken... Wir schwarzen Intellektuellen sind uns völlig unklar darüber, wo wir stehen. Wenn ich zu einer Party von College-Profs gehe, und sie tragen Ghettoklamotten, fahren dann anschließend in ihren BMWs wieder in die Vorstadt zurück, wo die Coltrane-Platte spielt, edel afrikanisch gekocht und Toni Morrison gelesen wird – was soll das? Das ist politisch korrekt? Black Nationalism wird zur Ware, zum Mittel der kulturellen Distinktion. In den Sechzigern hieß das noch die „Blacker than thou-Mentalität“: Spieglein, Spieglein an der Wand... Heute ist dieser ganze Schlagabtausch um die Frage schwarzer „Authentizität“, gerade auch im schwarzen Film zwischen John Singleton und den Hughes Brothers, einfach nur noch lächerlich und geschmacklos.

Dieser Streit um das „Echte“ paßt er ja auch schlecht zur Tradition des Zweideutigen und Uneigentlichen, mit der Sie sich in Ihren Büchern befassen. Von Ihnen stammt das Statement, schwarze Kultur sei nie ein Entweder-Oder.

Nun, die Ideologie läuft auf einmal quer zur Kultur. Schwarze Kultur ist ein Hybrid, wie der Jazz: Europa und Afrika, eine neue Weltkultur. Ich sage den Leuten immer, sie sollen nicht versuchen, irgend etwas rein zu halten.

Also doch eine Art „Cheerleader“? Prediger der kulturellen Vermischung?

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Naja, ich bin schon von Kugeln zersiebt (lacht), werde von links wie rechts angegriffen. Ich mag meine Rolle, entspricht irgendwie meinem Temperament. Ich stehe links von der Mitte, war zwar nie ein Anhänger sozialistischer Revolutionsideen, habe aber auch nie behauptet, der Kapitalismus existiere nicht. Wir brauchen eine gemischte Ökonomie für das schwarze Amerika: mehr soziale Fürsorge, aber auch mehr eigene Initiative. Wissen Sie, in Deutschland kann man von einer langen intellektuellen Tradition ausgehen, bei uns nicht. Es gibt auch noch nicht lange Bücher, in denen Menschen über ihre Erfahrungen sprechen. Als Leiter des ältesten schwarzen Forschungsinstituts sehe ich meine Aufgabe darin, einen Platz zur Verfügung zu stellen, an dem die Leute frei denken und sich austauschen können — ohne Restriktionen.

Noch einmal zurück zur Frage der „Identität“. Zu den romantischen Vorstellungen von der „Black Nation“ gehört auch dieses etwas pastorale, unschuldig- ländliche Afrika-Bild...

Es ist total primitivistisch, rassistisch und rückwärtsgewandt. Die wenigsten wissen wirklich Bescheid. Ein durchschnittlicher schwarzer Amerikaner kann sich das Hilton in Nairobi nicht leisten. Unter Intellektuellen gibt es allerdings einen gleichberechtigteren Austausch; wir publizieren zum Beispiel die Zeitschrift Transition, die sich speziell mit diesem Austausch beschäftigt, wir holen afrikanische Intellektuelle nach Harvard, meist Leute aus den anglophonen Ländern, Nigeria und Ghana.

Vor etwa hundert Jahren hat es schon panafrikanische Kongresse gegeben, W.E.B. DuBois, dessen Lehrstuhl ich jetzt habe, hat den ersten organisiert. Bis zur Unabhängigkeit sind etliche afrikanische Führer in England, Frankreich oder Amerika ausgebildet worden. Die Hoffnungen auf Black Nationalism, die in den Jahren der Unabhängigkeitsbewegungen dort entstanden waren, waren aber schnell dahin, als man sah, wie diese kleinen schwarzen Tyrannen aus dem Boden schossen.

Über Feminismus haben wir noch kaum gesprochen. Inwieweit gibt es in der schwarzen Community eine Hierarchie der Anliegen: erst das Soziale und Allgemeine, dann erst das „Private“?

Nein, ich denke Misogynie, Sexismus, Arbeitslosigkeit, Bildung und Erziehung – das ist als Problem alles gleich dringlich und wichtig. Es sieht doch schon schlimm genug aus, eine Privilegierung der Krisenerfahrung männlicher Schwarzer kann diesen Kreis nun wirklich nicht aufsprengen. Deswegen haben wir doch so viel Sexismus und Gangsta-Rap mit bitch hier und hoe da, und ich sage das, obwohl ich mich als Experte vor Gericht für die 2 Live Crew [HipHop-Gruppe mit expliziten Lyrics, Titel: „Nasty as they wanna be“; Red.] eingesetzt habe. Es gibt das Recht auf diese Art von Gangsta-Rap, so wie es für mich das Recht gibt zu sagen: Mein Gott, was für ein sexistischer Schwachsinn.