So schweig doch still, verruchtes Maul

■ Heute beim Festival „Kunst und Chaos“: eine denkwürdige Zusammenkunft von vier Kammerphilharmonikern, „Lauter Blech“ und einer Teufelei von Erwin Koch-Raphael

Vier Stunden lang wird heute abend in der Hochschule für Künste munter durcheinanderkonzertiert werden: Ein Streichtrio mitsamt gestandenen Blasmusikanten und vier Tonbandgeräten, letztere im Zusammenhang mit einer ziemlich ausgepichten Hinterlist des bremischen Komponisten Erwin Koch-Raphael. Die taz wollte vorab die Wahrheit von ihm wissen.

In ihrem Stück „To Open Ears“ wird der Elektronik recht übel mitgespielt. Erklären Sie mal.

Das funktioniert ganz einfach. In der Mitte spielt ein Solist die Baßklarinette, um ihn rum, mit dem Gesicht zur Wand, stehen vier Mitspieler an vier Tonbandgeräten und können rumdrehen, wie sie wollen, sie müssen nur immer den Klarinettisten noch hören können. Das ist meine Regel. Sie dürfen ihn um nichts in der Welt übertönen. Wenn er sehr leise spielt, müssen sie ebenfalls runter mit den Reglern, und wenn er grad mal gar nichts macht, bleibt ihnen eben auch nichts anderes übrig. Das kann schon ziemlich hart sein, ich hab ihnen ja doch zum Teil sehr schöne Klänge gemacht.

Und welche?

Es handelt sich um elektronische Klänge, die ich im letzten Jahr auf einem NeXT-Computer programmiert habe, 72 an der Zahl. Davon dürfen sich vor dem Konzert die vier Bandspieler aufnehmen, was sie wollen und wie laut sie's wollen. Es darf nur nicht länger als dreizehn Minuten dauern, und fünf Minuten davon müssen leer bleiben. Das ist die zweite Regel.

Ganz schön diabolisch, wenn man's bedenkt.

Es ergeben sich jedenfalls endlos viele Kombinationsmöglichkeiten, da kann's auch gut sein, daß der Klarinettist endlich richtig loslegt, man könnte also auch und hat plötzlich bloß noch Schweigen auf dem Band. Ein schönes Beispiel übrigens für die Chaostheorie, um die's ja an diesem Abend auch ein wenig gehen soll: Aus wenigen festgelegten Prozessen entsteht eine nicht mehr vorhersagbare Komplexität.

Es ist aber auch ein schönes Beispiel für einen Unterwerfungsakt. Was haben Sie gegen die eletronische Musik?

Naja, man kann sagen, daß die sich schon von selber überall breit genug macht. Umso besser hat's mir gefallen, ihr ein bißchen Zurückhaltung aufzuerlegen. Und Sie glauben nicht, wie man mit sowas inzwischen schon anecken kann. Ich habe dieses Stück ja als Stipendiat am Karlsruher „Zentrum für Kunst und Medientechnologie“ gemacht, und dort war man, ich kann sagen: naturgemäß überhaupt nicht begeistert. Die hatten sich eher was Pompöses, Glanzvolles erhofft, wo so richtig die Möglichkeiten der Technik zum Zuge kommen. Ein Referent machte mir ständig Druck in diesem Sinn, und einmal sagte er es mir glatt ins Gesicht: „Hochglanz“ sei gefragt; immerhin handle es sich um eine Geschichte, wo Siemens ganz dick drinhängt, und lauter solche Sachen.

Diese gekünstelte Euphorie ist ja üblich in der Elektronikszene.

Ja. Mir dagegen ist in Karlsruhe aufgegangen, daß mich die Technik eigentlich nur noch interessiert, wo sie anfällig, mangelhaft, schwächlich wird, wo sie also fast was Menschliches kriegt. Ich hab angefangen, neben großen, satten, schönen Klängen gebrechliche, unfertige zu programmieren; ich hab mir überlegt, wie man dieser vollkommen durchkalkulierten Perfektion entgehen könnte, wie sie in der Computermusik überall herrscht. Dem hab ich also dann ein Stück entgegengesetzt, das man nicht abspeichern kann, ja wo man nicht mal sagen kann, wie's jeweils ausfallen wird, ein Stück, für dessen Aufführung zur Not auch vier Ghettoblaster reichen, und es regiert zu allem Überfluß ein akustisches Instrument.

Gibt's nicht auch elektronische Musik, die von selber leise ist?

Von selber wird das immer laut, glaube ich. Das liegt einfach an der Technik, und es fängt schon an, wenn der Nachbar sich die neue Stereoanlage kauft, die meistens überdimensioniert ist, aber einmal am Tag muß sie ausgefahren werden. Und es endet bei Stockhausen, der's unter dem ganzen Universum ja überhaupt nicht mehr macht, der sich riesenhafte Kugeln ausdenkt, mit Lautsprechern ausgekleidet, und in der Mitte sitzt ganz klein das Publikum. Das sind so die gängigen Allmachtsphantasien, um nichts anderes handelt sich's ja inzwischen bei den meisten Komponisten. Ein im Grunde religiöses Verhältnis zur Technik.

Gibt es Gegenbeispiele?

Der Julius in Berlin fällt mir da ein. Der baut zahllose winzig kleine Knopflautsprecher und verstreut sie im Raum, und die tun nichts als krachen und knacken, weil sie nämlich alle ziemlich kaputte Schaltkreise haben. Das ist was sehr Schönes, und es verändert den ganzen Raum.

Fragen: Manfred Dworschak

„To Open Ears“ u.v.a.m. (siehe den Kasten) heute abend ab 19 Uhr in der Aula der Hochschule für Künste, Dechanatstraße