„Wir wollen gar nicht erst eckig malen“

■ Monopolist des schönen Scheins: Heinrich Werner, 76, malt die großen Kinoplakate am Zoo-Palast – und kennt seinen Konkurrenten im Ostteil der Stadt nicht einmal mit Namen

Jedes Auge von Tom Hanks („Schlaflos in Seattle“) ist so groß wie ein Fußball. Seine armdicken Lippen sind zusammengepreßt. Das Portrait des US-amerikanischen Filmstars lehnt an der Mauer eines Reinickendorfer Ateliers. Zwei Männer packen die drei Meter hohe Leinwand und wuchten sie auf einen Hänger. „Das muß alles sehr schnell gehen“, sagt ihr Chef Heinrich Werner. „Ich versorge die Filmfestspiele mit meinen Plakaten.“ Der 76jährige Werner ist in Berlin der älteste Vertreter eines aussterbenden Handwerks: Er malt Kinoplakate.

In dem kleinen, flachen Backsteinbau entstehen seit 23 Jahren Monumentalbilder, die man über den Eingängen der großen Kinos am Ku'damm und um den Breitscheidplatz bewundern kann. In den Wochen vor der Berlinale mußten die sieben MitarbeiterInnen Werners 20 Aufträge erledigen. Jetzt malen eine Frau und zwei Männer in der Werkstatt an Leinwänden für die Filmpremieren nach den Festspielen.

Meist sind die Plakate 14 Meter breit und 7 Meter hoch. Sie werden wie ein Puzzle aus einzelnen Bildern zusammengesetzt. Die bunten Giganten über dem Zoo-Palast zum Beispiel bestehen aus 15 einzelnen Leinwänden.

Zwei bis drei Tage malen Werners Angestellte an einem Bild, bis es montagefertig ist. Zuerst wird die leere Leinwand mit weißer Wandfarbe grundiert. Dann zeichnet einer der drei „figürlichen Maler“, wie der Meister seine Mitarbeiter nennt, mit schwarzer Kreide die Konturen vor. Als nächstes trägt er die Farben, Schicht für Schicht, mit dem Pinsel auf. Die Schriftenmaler geben den Werberiesen den letzten Schliff. Doch arbeitet keiner nach seinem persönlichen Geschmack. Jeder hält sich streng an die Vorlage der kleinen Verleihplakate. In Werners Werkstatt entsteht kein eigenständiges Kunstwerk, sondern Auftragskunst. „Künstler bin ich nur, wenn ich zu Hause Landschaftsbilder male“, sagt Werner.

Plakatmaler ist kein Lehrberuf. Die meisten MitarbeiterInnen in dem Atelier sind gelernte Grafiker. Wer bei Werner anfangen will, muß eine harte Prüfung bestehen: „Den stell ich erst mal vor eine drei Meter hohe Leinwand. Und dann muß er ein Portrait malen.“ Die meisten BewerberInnen lassen nach zwei Tagen den Pinsel fallen, weil sie den Ansprüchen nicht genügen: „Alles in einem Gesicht ist rund, und wir wollen hier gar nicht erst anfangen, eckig zu malen.“

Werner selbst ist auch nur über Umwege zur Plakatmalerei gekommen. In seinem Geburtsort, dem böhmischen Haida, schloß er eine Ausbildung zum „Entwurfzeichner für Glasdekore“ ab. In seiner Freizeit malte der damals 17jährige für das kleine Kino seiner Heimatstadt Plakate. Sein erster Auftrag war ein Portrait der „göttlichen Garbo“. „Ich wollte weg vom Schreibtisch.“

So zog er 1938 in die Filmmetropole Berlin und wurde von der UfA als Plakatmaler eingestellt. Zwei Jahre nach Kriegsende fing er in einem alten Schuppen an, seinen ersten eigenen Betrieb aufzubauen. Das große Kinosterben in den sechziger Jahren überlebte Werner nur durch Geschäftssinn. Und Glück. Seine beiden einzigen Konkurrenten kapitulierten. „1970 hatte ich dann das Monopol für Kinowerbung in Westberlin.“ Seit der Maueröffnung gibt es im Ostteil einen Konkurrenten. Doch den fürchtet Werner nicht: „Der hat den Osten und ich den Westen. Ich kenne ihn noch nicht einmal.“

Heinrich Werners Handwerk hat etwas von einer alten Kutsche auf einer Autobahn. Trotzdem hat er Erfolg: „Ich konnte mir zwar kein Eigenheim leisten, aber ich lebe nicht schlecht.“ Für den Preis eines seiner Plakate könnte man 200mal ins Kino gehen. Etwas schlechter geht es Werner nur, wenn Publikumsrenner im Programm sind. Denn je kürzer ein Film läuft, desto eher klingelt bei ihm die Kasse. Olaf Bünger