„Die Hochschule ist doch keine Kommune“

■ Historiker Heinrich August Winkler und Fast-Kandidat für die Bundespräsidentschaft Richard Schröder erklären der taz, warum der Humboldt-Mittelbau sie nicht wählen sollte

Gestern endeten die Gremienwahlen an der Humboldt-Universität (HUB). Eine Reihe von Professoren hatte – vergeblich – gegen das Wahlverfahren geklagt: Es sei nicht rechtens, daß die Professoren auch mit Stimmen aus dem Lager des Mittelbaus gewählt würden. Seit 1973 sichert ein Verfassungsgerichtsurteil den Professoren ihre herausgehobene Stellung durch zwei Vorschriften: Die Professoren müssen, erstens, in allen Gremien die absolute Mehrheit haben. Sie dürfen, zweitens, nur von echten Professoren gewählt werden.

taz: Herr Winkler, Herr Schröder, warum sind Sie so erpicht darauf, als Professoren nur von ihresgleichen gewählt zu werden?

Heinrich August Winkler: Weil das berühmte Urteil des Verfassungsgerichts vom Mai 1973 vorschreibt, daß jede Gruppe eben nur ihre Vertreter wählt. Die Ausnahmeregelung für die Humboldt- Universität läuft am 31. März aus. Meiner Ansicht nach hat der Gesetzgeber es nicht gewollt, daß nun durch die Hintertür die Geltungsdauer dieser Regel um zwei Jahre verlängert wird, indem man vorher noch mal wählt.

Aber bei dem Wahlprinzip, das die HUB jetzt praktiziert hat, wird die absolute Mehrheit der Professoren doch gar nicht angekratzt.

Winkler: Das ist richtig. Aber infolge der zahlenmäßigen Überlegenheit des Mittelbaus – wir haben etwa ein Verhältnis von 4 : 1 von Mittelbau zu Professoren – kommt eine Majorisierung der Professoren heraus. Tendenziell kann man sagen, dieses Wahlrecht begründet eine Fremdbestimmung für die Professoren.

Wo sehen Sie Ihre Selbstbestimmungsrechte konkret gefährdet?

Winkler: Es geht um das Prinzip.

Sie beide gelten als unzweifelhafte Demokraten ...

Winkler: ... sogar Sozialdemokraten ...

Richard Schröder: Auch das noch!

Wie können sich solche Demokraten auf ein so undemokratisches Urteil berufen?

Winkler: Dieses Urteil ist in keiner Weise undemokratisch, es sei denn, man ginge von einem vulgärdemokratischen Mißverständnis aus. Die Universität hat ihre Autonomie garantiert bekommen, weil man ihr besonderen Sachverstand zutraut. Dieser Sachverstand muß nachgewiesen werden, und er ist bei denen, die sich durch Promotion und Habilitation qualifiziert haben in der Regel etwas größer als zu Beginn des Studiums. Infolgedessen ist das Urteil des Verfassunsgerichts ein wesentlicher Beitrag gewesen, den Ruin der Universitäten zu verhindern. Der war doch damals, 1973, mancherorts in vollem Gange. Es gab eine Majorisierung der Professoren in Form der Drittelparität, die die Universitäten zu Selbstbedienungsläden für den wissenschaftliche Nachwuchs verwandelt hatte.

Es führt kein Weg daran vorbei, daß dieses Urteil der überwiegenden Mehrheit der Hochschulangehörigen ihre politischen Rechte nur eingeschränkt zugesteht.

Schröder: Die politischen Rechte werden zunächst in der Polis ausgeübt. Die Hochschule aber ist keine Kommune. Es soll hochschulpolitische Rechte für die Studenten geben. Aber es kann nicht nach dem Prinzip „Eine Person – eine Stimme“ gehen.

Winkler: Ihre Argumentation liefe ja darauf hinaus, daß Studenten, gleich welchen Semesters, über Promotionsverfahren oder Berufungen mit dem selben Stimmgewicht abstimmen können wie die Professoren. Es geht aber in der Tat um den Nachweis von Sachverstand. Sonst verliert die Hochschulautonomie ihren Sinn. Vermitteln sie mal dem Steuerzahler eine Entscheidung durch Inkompetente – das geht nicht!

Schröder: Wenn Sie es konkret wollen: Das hieße, daß Studenten sich selbst die Prüfungsanforderung setzen könnten ...

Winkler: ... genau das ist am Otto-Suhr-Institut geschehen, wo ich in den Siebzigern die Erprobung der Drittelparität miterleben durfte. Interview: Christian Füller