Naturkunde unter der Leitplanke

■ Das Ökohotel bei Moeraki in Neuseeland: Synthese von Tourismus-Business und Naturschutz-Engagement

Das hier muß wohl wirklich das Ende der Welt am anderen Ende der Welt sein: Moeraki (am südlichen Ende der Westküste der Südinsel Neuseelands) ist zwar an einem sogenannten Highway gelegen, aber zwischen acht Uhr abends und acht am Morgen ist jedes vorbeifahrende Fahrzeug eine kleine Sensation. Hier ist eines der touristischen Highlights des Landes gebaut: die Lake Moeraki Wilderness Lodge.

Völlige Ruhe, Abgeschiedenheit. Bis zum Sonnenuntergang. Dann geht Gerry McSweeney, der Hotelbesitzer und jungdynamische Biologe, mit seinen Gästen auf eine kleine Exkursion. „Can you hear it?“ Dieses glucksende, trötende Geräusch? Das ist ein Tui. Der nächste Ruf, ähnlich schräg, scheppernd, gluckernd – ein anderer Vogel. Da, ein Kea. Hört ihr das? – ein sowieso. Was die Vögel sich zu sagen hätten? Das übliche, sagt Gerry, sie machen sich den Hof, balzen, werben. Gerrys Kinderaugen strahlen. Aber, sagt er, das wirklich intime Gegluckse sei uns Menschen verborgen: „Das schönste Liebesgezwitscher ist jenseits von 16.000 Hertz.“ Wo ist der Kiwi? fragen die Kinder. Wenigstens hören wollen sie den geliebten Nationalvogel, wo ihn schon kaum einer zu sehen bekommt. Erist so selten geworden (durch die vielen eingeschleppten Hunde, Karnickel und Ratten), daß auch Gerry vergeblich lauscht. Kiiwii, kiiwii – immerhin, sagt er, könne man ihn leicht identifizieren, weil er seinen eigenen Namen ruft.

McSweeney stochert im Gras unter der Leitplanke. Zu jedem Kraut weiß er eine Geschichte. Ratas, eine einheimische dicke Mottenart, sausen im Schein seiner Taschenlampe empor. Iiih, sagen die Kinder. Gerry erklärt ihren Nutzen für das Ökosystem. Ohne Motten kein Tui, damit kein Nachtkonzert. Und die Sandflies, jene bissigen Teufelsviecher, die tagsüber am Strand allen mal wieder so zugesetzt hatten? Über die weiß McSweeney die Maori-Legende zu erzählen: Once upon a time seien die Menschen ganz furchtbar faul gewesen, sie arbeiteten nicht, langweilten sich nur. Da, sagten die Maoris, habe Gott die Sandflies geschaffen. Und schon seien die Menschen in Bewegung gekommen.

Gerry McSweeney ist ein gutes Beispiel, wie man Tourismus-Business und Engagement für den Naturschutz aufs vortrefflichste verbinden kann. Seine umweltgerecht gestaltete und ausgestattete Lodge ist eine Goldgrube: in der Hochsaison (Dezember bis März) meist Monate vorher komplett ausgebucht, und das bei einem Doppelzimmerpreis von – für Kiwi-Verhältnisse – hochluxuriösen hundert Mark. Und seit 1992 ist die Lodge Trägerin des „Ecotourism Award“, dem begehrtesten Preis für ökologischen Tourismus. Es brauche, sagt Gerry, „viel mehr solche Orte, weil die rapide steigenden Besucherzahlen unser kleines Land allmählich ersticken“.

Und dann schüttet es mal wieder kübelweise. Aotearoa – das Land der großen weißen Wolke? Oft ist Neuseeland auch Aohaamaroa – das Land unter der großen dunklen Wolke. Nicht weit von Moeraki, unten in Fjordland, fallen im Schnitt sechs bis acht Kubikmegen im Jahr, zehnmal mehr als bei uns. Der riesigen See-Elefantenkuh, die wir am nächsten Morgen am Strand besuchen, ist das egal: Sie wälzt ihr gut eine Tonne Lebendgewicht eben durch nassen Sand. Ob sie sich auch freut, daß wenigstens die Sandflies sich wegen der Nässe verdrückt haben, bleibt ihr Geheimnis. Bernd Müllender