Früchtchen des Zorns

■ „Die Nacht vor den Wäldern“ von Bernard-Marie Koltès im Brauhauskeller

Bei diesem ganzen traurigen Vorgang handelt sich's zuallererst um eine Verletzung der Aufsichtspflicht. Es hätte nämlich der Schauspielleiter Heyme für die 260.000 Mark, die er einsackelt, wenigstens einmal die Proben aufsuchen können, um dort auszurufen: So geht das nicht, ihr Jungens!

So ein kleiner Schreck hätte womöglich schon genügt, und die beiden Piloten wären an ihrem Unglück vorbeigeschrammt. So aber rasten sie mitten hinein: Der Regieassistent Andreas Ingenhaag (25) hat die erste Alleinregie seines Lebens übernommen, und der Schauspieler Thomas Höhne (30) wußte es auch nicht besser. Zusammen und offenbar ohne jeden dritten Mann haben die beiden das Stück „Die Nacht vor den Wäldern“ auf die Bühne des Brauhauskellers gebracht, daß Gott erbarm.

„Die Nacht vor den Wäldern“, das ist das erste richtige Stück von Bernard-Marie Koltès gewesen, und es wäre eigentlich der große Monolog eines Stückes Scheiße: Da haßt sich einer aus vor uns, der alles hinter sich hat, und es geht ohne Ende fort und fort, bis auch wir mit Kopfsausen versinken in diesem koltèsmäßigen Existenzlertum, welches das Geworfensein längst hinter sich hat und nur noch im Ausgeworfensein west.

Wir hören von Blut und Knochen, von Müttern und Maschinengewehren; es sind Tiraden, wenn nicht Schlachtgesänge des Ekels und der Verzweiflung, aber von dieser merkwürdigen Wehsal, wie sie nur Schmerzensmännern gegeben ist. Es könnte schon bewegend sein, diesen hier leiden zu sehen; das macht die Umstandslosigkeit seiner Sprache, das macht die dreifach gehärtete Lyrik dieses Koltès, der jedes Sentiment aus seiner Sätzen herausgedengelt hat.

Thomas Höhne aber macht das alles wieder hinein, und eine Menge Schauspielschule obendrein. Er wälzt sich und schreit zum Himmel, er hechelt und quengelt und fummelt herum, er schreit in einer Tour und atmet alleweil stoßweis gehetzt, und man denkt immer nur, da wird ein armer Schauspieler wahnsinnig, weil er gar so mutterseelenallein auf der Bühne ist.

In der Not haben die beiden an Inszenierungskrimskrams aufgeboten, was immer der Text so gerade noch hergab; es ist, als hätten sie Satz für Satz danach betrachtet, ob man beim Aussprechen nicht niederstürzen oder aufspringen oder wenigstens einmal um die Bühne stampfen könne, und manchmal, denkt man sich, macht Höhne nur noch Gesten zu einzelnen schwerbedeutenden Wörtern, auf daß wenigstens irgendwas geschehe. Da kommt kein Gedanke auf an den eventuellen Zauber des Stücks, und man hört nicht die Spur von dem Sing und Sang der Koltèssprache.

Man sieht nur, daß die beiden mächtig gearbeitet haben, aber da es so unberaten geschah, ist nicht viel mehr herausgekommen als zirka zweitausendfünfhundert schauspielerische Handlungen in der Rekordzeit von achtzig Minuten.

Manfred Dworschak

nächste Aufführung: morgen um 20.30 Uhr im Brauhauskeller