Lustig, kritisch, Ratsch im Kappes

Während in anderen Karnevalshochburgen nur sinnlos gefeiert und gesoffen wird, hat Köln Ortsheimatpfleger des politisch korrekten Lachens. Genuß ohne Reue auch für Menschen mit Getreidemühle und Häkelgardine.  ■ Von Reinhard Lüke

Froh zu sein bedarf es wenig, weiß der Volksmund. In Köln wie in anderen Karnevalshochburgen längs des Rheins besteht dieses Wenige Jahr für Jahr in einem schlichten Blick auf den Kalender. Wenn der „Karneval“ anzeigt, geht der kollektive Frohsinn ab. Und regelmäßig spaltet sich das Volk und mit ihm der eigene Freundeskreis in Jecken und erklärte Antikarnevalisten. Das mag einem als zugereisten „Immi“ kurios bis albern vorkommen, doch letztlich sind die sauertöpfischen Klagen über den Schwachsinn der Veranstaltung kaum weniger albern und nervtötend als die Leidenschaft der anderen für jene Mischung aus verordneter Heiterkeit und Kampftrinkertum.

Schließlich kann es mit dem Karneval ein jeder halten wie er will. Entweder er stürzt sich hinein oder er läßt es bleiben. Nichts hindert ihn daran, das Weite zu suchen oder sich beizeiten den Kühlschrank aufzufüllen und eineinhalb ungesetzliche Feiertage in seinen vier Wänden zu genießen. Kurzum, der ganze Karneval wäre ähnlich wie Weihnachten und andere folkloristische Happenings der Rede nicht wert, gäbe es in Köln nicht jene bemerkenswerte Spielart der „alternativen Narretei“. Das Unternehmen heißt, wie inzwischen taz-, FR- und gar Zeit- Leser wissen, „Stunksitzung“ und ist so etwas wie Karneval für Aufrechte mit ideologischen Gewissensbissen.

Wer das per se für eine Schnapsidee hält, liegt, was die Ursprünge des Ganzen angeht, nicht einmal falsch. Geboren wurde das Ganze vor zehn Jahren von gesellschaftlich und überhaupt engagierten und nicht zuletzt linken Studierenden an der Sozialfachhochschule. Wie wäre es, einmal eine anarchische große Verarsche des furztrockenen offiziellen Kölner Karnevals aufzuziehen? Zwar war der offiziöse Vereinskarneval auch damals schon an unfreiwilliger Komik kaum noch zu überbieten, aber für eine nette Sause mit Freunden würde so ein Ulk wohl reichen. Es reichte locker. Inzwischen ist, was da 1984 als Sponti- Klamauk im kleinen Kreis seinen Anfang nahm, längst zu einem aus Köln nicht mehr wegzudenkenden Szene-Dienstleistungsbetrieb geworden, der inzwischen in 30 Sitzungen pro Jahr gut 30.000 Szene- Narren zum Trampeln bringt. Von der Lokalpresse gefeiert und vom WDR hofiert ist Oberstunker Jürgen Becker längst zur Mutter Theresa des politisch korrekten Frohsinns avanciert.

Wenn dann und wann eine szenenahe Stadtzeitung angesichts von soviel Eintracht – bei aller Sympathie – doch mal nachhaken zu müssen meint, fragt man die Stunker, ob sie denn früher nicht doch kritischer gewesen seien. Und die geben dann brav zu Protokoll, daß sie einige Entwicklungen ihres Treibens nicht ohne Sorge betrachten, aber schon noch Wert darauf legen, daß das Ganze einen politischen Kern behält. Ein Vorsatz, den man für cleveres Marketing halten könnte, wäre es jener inzwischen auf rund zwanzig Leute angewachsenen Stunkerschar nicht so rührend ernst damit. Und das nimmt bisweilen schon höchst putzige Züge an. Als beispielsweise der Funktionärskarneval unlängst das Gerücht verbreitete, die Stunker würden sich mit ihren Sitzungen inzwischen längst eine goldene Nase verdienen, hatte die Verdächtigten nicht Eiligeres zu tun, als per Zeitung ihre (bescheidenen) Einkommensverhältnisse aufzudecken. Verdacht weg, Szene beruhigt. Nur der gläserne Karnevalist ist ein (moralisch) guter Karnevalist.

Schließlich war den Stunksitzungsmachern schon damals, vor zehn Jahren, der Schreck in die Glieder gefahren, als sie feststellen mußten, daß die Freaks im Saale bei einer musikalischen Darbietung, die doch eigentlich als Parodie aufs Schunkeln gemeint war, wie das normale Blödvolk hemmungslos zu schunkeln begannen. Der Schock saß tief, hielt aber nicht lange vor. Wenn schließlich das Schunkelliedchen, das echt klang, doch eigentlich parodistisch gemeint war, warum sollte dann das, was da unten im Saal wie echtes Schunkeln aussah, nicht auch parodistisch gemeint sein? Widerspruch beseitigt. Weitermachen. Die Szene dankte und kam und schunkelte weiterhin in Scharen. Schließlich hatte man lange genug darunter gelitten, daß das Normalvolk sich alljährlich besinnungslos amüsierte, während man selbst nichts zu lachen hatte. Karneval wurde schließlich von jenen bauchenden, goldrandbebrillten Heiterkeitsfunktionären beherrscht, war somit eine durch und durch miefige, spießige und erzreaktionäre Angelegenheit.

Aber im Prinzip war man ja auch als kritischer Akademiker gerne „ne kölsche Jung“ und „tat jän laache“. Und gegen ein paar „lecker Biersche“ außer der Reihe hatte man erst recht nix einzuwenden. Nur, bitteschön, sollte man sich seiner Heiterkeit wegen nicht auch noch ständig rechtfertigen oder am Ende gar schämen müssen. Und da kam der Alternativkarneval der „Stunksitzung“ doch wie gerufen. Lustig und politisch korrekt, das war doch wie Versündigung am eigenen ernsthaften Blick auf die Welt und Absolution in einem Aufwasch.

Das Stunksitzungsprogramm präsentiert sich auch 1994 als jene bewährte Mischung aus buntem Abend, Kabarett und Kindergeburtstag. Witzeleien über Funktionärskarneval und Amtskirche gehen dabei noch immer so gut wie Kohl-Witze auf der Butterfahrt. Nun ist zwar parodistisch eigentlich nicht zu überhöhen, was im Original schon vor unfreiwilliger Komik strotzt, aber wenn Stunkhäuptling Becker den örtlichen Kardinal „Arschloch“ nennt oder kundtut, daß „Vatikan“ aus dem Lateinischen kommt und eigentlich „Hänneschen“ heiße, sorgt das für schier unbändige Brüller und Begeisterungsstürme. Sollte das Publikum, dem man Getreidemühle und Häkelgardine daheim ansieht, vorwiegend aus „kritischen Christen“ mit latenter Sympathie für Befreiungstheologie und Eugen Drewermann bestehen, überzeugt, daß Jesus eigentlich schon irgendwie in Ordnung war und (wie beim Karneval) nur die bösen Funktionäre mal wieder alles vermasselt haben?

Doch die Geschichte des alternativen Karnevals in Köln umfaßt inzwischen weit mehr als die Erfolgsstory der Stunksitzung. Ende der Achtziger hatten einige Stunker die Faxen dicke. In der Mei

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nung, die einstigen Ideale längst an die plumpe Volksbelustigung verraten zu haben, warfen sie die Brocken hin. Doch nicht etwa, um dem Karneval nun gänzlich den Rücken zu kehren, sondern um eine wirklich alternative Alternativkarnevalssitzung zu kreieren. Das Ganze nannte sich dann – in einer Art doppelter Negation – „Prunksitzung“ und war höchst putzig anzusehen. Vorwiegend „beinharte“ Politnummern, so richtig böse. Schunkelliedchen gab's auch. Doch die wurden nur ein paar Takte angespielt und dann mit einem bösen Break zum Pogo umgemodelt. Machte nix, die Bude war gerammelt voll, und das kritische Narrenvolk wollte ja ohnehin nur parodistisch schunkeln. Und wenn man das jetzt zweimal haben konnte – bei Stunk und Prunk – um so besser.

Daß der Prunk-Spuk nach zwei Sessionen vorbei war, hatte mehrere Gründe. Einer davon hieß Golfkrieg. Als die Hälfte des alternativ-alternativen Publikums seine im Vorverkauf erstandenen Karten zurückgeben wollte, weil sie denn doch lieber nicht (nicht einmal parodistisch) schunkeln wollten, wenn da unten Krieg sei, dämmerte auch den Prunkern, von welch schlichten Gemütern ihr besonders kritischer Frohsinn da im letzten Jahr bejubelt worden war.

Zudem waren die Karteninhaber erst von ihren moralischen Skrupeln befallen worden, als die offiziellen Karnevalsfunktionäre sich nach schwerem Ringen (es soll Tränen gegeben haben) beschlossen hatten, den Straßenkarneval abzusagen.

So hat denn der böse Golfkrieg womöglich die alljährliche Prunksitzung auf dem Gewissen, aber auch gleich für adäquaten Ersatz gesorgt. Denn im Kriegswinter 1991 formierte sich ein sogenannter „Geisterzug“. Eine sich anarchisch gebärdende, krude Mischung aus Friedensdemo und Protest gegen die Heuchelei des Festkomitees. Von wegen Absage und so. Und siehe da, wie bei der Stunksitzung wurde, was als Sponti-Protest begann, schnurstracks zu einem festen Bestandteil des Kölner Karnevals.

Der „Geisterzug“ marschiert seitdem alljährlich zu später Stunde am Karnevalssamstag durch die Stadt und wird Touristen vom städtischen Fremdenverkehrsamt gern als originelle Abwechslung empfohlen. Daß wegen Bosnien, Somalia etc. kein Offizieller mehr auf die Idee gekommen ist, den Rosenmontagszug abzusagen und auch der Alternativkarneval nicht darben muß, versteht sich von selbst. Ob er das nun als Gewissenlosigkeit geißeln oder als demonstrative Absage an die Heuchelei begrüßen möchte, bleibt schließlich jedem selbst überlassen.

Der kölsche Szeneklüngel hat im Verein mit jener Dialektik, die da bereit ist, Divergenzen aller Art im Zweifelsfall mit einem „jede Jeck is anders“ zu befrieden, nunmal seine ureigensten Gesetze. Ob da nun die dezidiert linksalternative Stadt-Revue während einer Demo gegen Fremdenhaß dem (an der städtischen Asylpolitik nicht eben unbeteiligten) Oberbürgermeister spontan den redaktionseigenen Bulli nebst Megaphon zur Verfügung stellt, um ein paar Sonntagssprüche von wegen Multikulti abzusondern oder noch ein Jahr später Leute davon schwärmen, was das damals mit dem „Arsch hu“-Konzert doch für eine prima und vor allem wichtige Aktion gewesen sei. Und irgendwie gehört es auch zu den ungeschriebenen Szenegesetzen, Willi Millowitsch irgendwie gut zu finden. Zwar ist von dem rüstigen Methusalem des Volkstheaters („Dat git et nur, nur, nur in Kölle“) kein Statement überliefert, das gehaltsmäßig über die Weisheiten eines Sepp Herberger hinausginge, aber tut nix zur Sache. „Dä Willi is ne goode Jung.“ Basta.

Und genauso ist der alternative Frohsinn über jede Kritik erhaben. Daß er unweigerlich längst zum festen Bestandteil jener Realsatire namens Karneval geworden ist, als deren Persiflage er einst ins Rennen ging, was soll's. Und solange die offiziösen Karnevalsfunktionäre, die in grauer Vorzeit auch einmal als Parodisten begannen, sich bei der Inszenierung des öffentlichen Heiterkeitsdrangs weiterhin so grausig dämlich anstellen, kann die Szene von der alternativen Karnevalshygiene der Stunker bestens leben. Nur wenn die Offiziösen ihren Rosenmontagszug mal unter das Motto „Für mehr Ausländerfreundlichkeit“ stellen sollten, müßte man vielleicht kurz diskutieren. Aber im Zweifelsfall könnte man ja hingehen und mitschunkeln. Und sei es nur parodistisch.