Kommerzielle Züge

■ Bahn AG vergibt Projektentwicklung für Lehrter Bahnhof an amerikanischen Developer / Streit wegen Unrentabilität

Kaum ein Jahr nach seiner Konzeption schiebt Bahnchef Heinz Dürr die Planungen des Lehrter Zentralbahnhofs ein zweites Mal ganz auf das kommerzielle Gleis. Der Vorstand der Deutschen Bahn AG beschloß, die „Vermarktungspotentiale im Entwurf des Hamburger Architekten Meinhard von Gerkan prüfen zu lassen“, wie Pressesprecherin Anfried Baier- Fuchs auf Anfrage der taz erklärte. Die Bahn habe den amerikanischen Developer Tishman Speyer Properties beauftragt, ein Nutzungskonzept der Immobilie am Spreebogen vorzulegen. In Berlin sind Tishman Speyer Properties beim Bau eines Quartiers der Friedrichstadtpassagen beteiligt.

Der Lehrter Bahnhof, so Baier- Fuchs, soll als Fern- sowie Regionalbahnhof zum Verkehrsknotenpunkt und kommerziellen Zentrum entwickelt werden. Seine Lage am Rande des geplanten Regierungsviertels biete einen erstklassigen Standort für die Ansiedlung von Geschäften, Büros sowie die Vermarktung von Service-Einrichtungen. Die Bahn suche darum nach Investoren für den Bau und die Nutzung der Flächen. Das Unternehmen Tishman Speyer Properties wurde ausgewählt, habe es doch Erfahrung mit der Projektentwicklung von Bahnhofsbauten. Die Ergebnisse zu den wirtschaftlichen Möglichkeiten erwartet die Bahn in diesem Jahr.

Bahnchef Dürr war bereits 1993, kurz nach der Fertigstellung der Pläne von Meinhard von Gerkan, mit gewinnträchtigen Kommerzbauten im Bahnhofskleid vorgeprescht. Beim „Jahrhundertprojekt“ Lehrter Bahnhof wünschte sich der oberste Schaffner der Republik Bürobauten und „Einkaufszentren mit Gleisanschluß“, die das eigentliche Verkehrsbauwerk wie in einen Mantel einbinden. Meinhard von Gerkans 700-Millionen-Mark-Entwurf aus zwei sich kreuzenden Glashallen ließ sich jedoch schwer auf diese Vorstellungen übertragen. Seither gibt es Streit wegen der möglichen Unrentabilität des gesamten Bahnhofsensembles, passen doch die flächenfressenden Hallen in der Tradition der herkömmlichen Bahnhofstypologie nicht in die Vermarktungsstrategie der Bahn.

Die mit dem Senat abgestimmte Projektentwicklung ist nicht der einzige bauliche Wermutstropfen für von Gerkan. Auch die architektonische Gestaltung des Bahnhofs wird sich ändern müssen. „Von Gerkan wird seinen Entwurf an die städtebaulichen Vorgaben der Schultes-Planung anzupassen haben“, sagte Baier-Fuchs. Das Konzept sei hinsichtlich der Blockstrukturen „weiterzuentwickeln und zu verändern“. Daß die Von- Gerkan-Planung damit ganz zur Disposition stehe, wollte Baier- Fuchs nicht bestätigen, räumte aber ein, daß es „Schnittstellen“ zwischen Architektur und den wirtschaftlichen Ansprüchen der Bahn geben könnte.

Dennoch scheint der Konflikt zwischen Architektur und Städtebau vorprogrammiert. Auf dem letzten Stadtforum zum Thema „Die Zukunft der Bahn in der Stadt“ hatte Axel Schultes seine Version vom Lehrter Bahnhof vorgestellt. Statt der beiden gekreuzten Hallen drückte er dem Bahnhofsareal mit zwei Karrees seinen Blockstempel auf. Experten mutmaßen, daß in diesem Raster der Entwurf des Architekten von Gerkan nicht funktioniert. Von Gerkan war gestern für die taz nicht zu erreichen. Rolf Lautenschläger