Girls'n the Hood

Von Zehlendorf in die Welt hinaus: eine Momentaufnahme der Lemonbabies  ■ Von Gerrit Bartels

An einem Wintertag, 22.30 Uhr. Vor dem Eingang des Roten Salons der Volksbühne, direkt am Rosa-Luxemburg-Platz, wartet geduldig eine beträchtliche Menschenmenge. Die Berliner All- Girl-Band Lemonbabies feiert hier ihre Record-Release-Party. Nebenan im Theatersaal geht Castorfs Populärfassung von Ibsens „Frau am Meer“ in seine dritte Stunde. Und für die seit Wochen vor der Volksbühne campierenden Wagenburgler verspricht der heutige Abend eine Menge Aufmerksamkeit – und auch ein paar Mark mehr in der Büchse.

Bestimmt bin ich nicht der einzige, den angesichts der langen Schlange das Gefühl beschleicht, da wäre mehr; die Lemonbabies könnten ein ganz „dickes Ding“ sein. Zumindest nehmen sie seit vier Jahren kontinuierlich am Berliner Musikgeschehen teil – und sind dabei sicher der langlebigste Hype. Schon 1991 wünschte diese Zeitung den Lemonbabies, „daß sie über eine Kopie amerikanischer Girl-Groups hinauswachsen“ und beurteilte den „vierstimmig gesungenen Liebesschmuh“ als charmant, aber unoriginell.

Wenn man die vier auf der Bühne sieht, empfindet man sie kaum als Kopie eines amerikanischen Girl-Gruppen-Modells à la Hole oder L7 – so brav und lieb und wie alberne Nachbarstöchter wirken die vier Damen.

Bei soviel Frische kommt Freude auf

Das schließt nicht aus, daß kübelweise Charme über das anwesende Publikum gegossen wird, von der „Entschuldigung an die vielen Freunde, die leider draußen bleiben mußten“, über das Eingeständnis, „furchtbar aufgeregt und leider auch erkältet zu sein“, bis zu „Grüßen an Heike und Klaus“ reicht das Spektrum der verbalen Intermezzi zwischen den Songs. Das hören alle Anwesenden gerne, da kommt Freude auf und lenkt ab vom öden Berliner Musikalltag. Major-Vertrag hin oder her, das ist doch noch Unbekümmertheit, die nicht am Firmen-Reißbrett entworfen wurde, herrje!, und wahrscheinlich auch durch Auftritte in Frühstücksshows nicht so schnell in starre Schablonen gepreßt werden kann. Die Lemonbabies-Show wirkt, als seien die vier gerade von der Schule direkt in das Zehlendorfer Jugendzentrum gekommen.

Ihre „wilde Zeit“, wie sie selbst sagen, haben sie dort, im Stadtteil Zehlendorf, schon im Babystadium der Band durchgemacht: das übliche pubertäre Aufbegehren mit Parties und Alkohol etc. Und wo das Leben schon Rock'n'Roll war, war es ganz natürlich und reizvoll, eine Band zu gründen. Nur hieß das eben Ende der Achtziger nicht mehr Punk, sondern Nachspielen von Sixties-Melodien, ähnlich simpel wie Punk und genauso gut geeignet for Beginners. In dem Berliner Twang- und Sixties-Papst und ehemaligen Plattenladen-Besitzer Mieke Korbik fanden sie über eine Zeitung namens Zitronenpresse ihren ganz persönlichen Kim Fowley. Er brachte ihre erste Single heraus und fungiert auch als Manager, Ersatzpapa und (fünftes) Mädchen für alles.

Keinesfalls Sexploitation oder so

In ihren Anfangszeiten ritten die Lemonbabies denn auch treu und stilecht auf den Sechzigern herum, Auftritte mit hochtoupierten Bienenkorbfrisuren und sonstigem geschlossenem Sixties-Outfit ließen logisch an Bands wie die Velvelettes oder Ronettes denken. Daß im Zusammenhang mit ihnen auch mal die Rede von so etwas Anrüchigem wie Trash sein konnte, war ausschließlich dem ganz profanen Dilettantismus der Band zu verdanken. Keinesfalls wilden Gitarrenzertrümmerungen oder wüsten Sexploitationen.

Mit letzteren müssen sie allerdings leben. Das Etikett „Päderasten-Pop“ erweist sich langlebiger und zäher, als gedacht. Dodo Lemonbaby zuckt nur mit den Achseln: „Kennen wir schon“. Es ist enervierend, wird aber cool-ironisch aufgefangen und auf der Bühne auch mal offensiv-kokett kommentiert. Girls wanna have fun, heißt die Devise. Wenn Männer wollen, dürfen sie sich schon mal als Bläserfraktion betätigen, und dann wird in großer Gemeinschaft eine weltbewegende Premiere abgehalten, die in dem umstürzlerischen Song „I love dentists“ ihren absoluten (Konzert)- Höhepunkt findet. Ein bißchen Sozialkritik darf gelegentlich auch sein, und für Zeitgenossen, die auf Message und Sinngehalt Wert legen, hat die Band „Don't Mind. Don't Care. Don't Want To“ im Programm: die ultimative Absage an zwanghafte Gefallsucht, an das Perfektionieren zu hochglänzender Magazinschönheit.

Doch trotz dieser Betonung des Naturwüchsigen hat die Band einige Fortschritte gemacht: Gesangs- und Instrumentenunterricht tragen erste Früchte, und auf die legen Dodo, Diane, Julia und Kaja im Gespräch auch Wert. „Wir arbeiten hart und pumpen einiges an Zeit und Energie in die Band“, meint Kaja, „um so bescheuerter finden wir immer diese Prinzen- Schublade, in die wir dann wegen der drei A-capella-Songs reingesteckt werden.“

Sie nennen's allen Ernstes Sunshine-Pop

Sie selber nennen's allen Ernstes Sunshine-Pop – was nicht mal so verkehrt ist. Denn das sind ihre Songs doch: kleine, „schöne“ Songperlen, die sicher nicht mehr den Adel eines Senatsrockwettbewerbs-Sieges brauchen. Lieder, die wie Brausetabletten auf der Zunge zergehen. Frei nach Roy Black bringen die Lemonbabies einfach ein bißchen Sonne ins Leben und in die Herzen. Ein Schelm, wer Arges dabei denkt, oder?

Ihr neues Programm stellen die Lemonbabies heute, 22 Uhr, im Tacheles vor, Oranienburger Straße 53-56, Mitte.