Das Musicalfieber fordert neue Opfer

■ Eine städtische GmbH macht mit „Vertretern aller Bremer Medien“ eine Flugreise, die taz ist nicht dabei, und der gescheiterte Showpark-Betreiber baut jetzt einen Discoglaspalast an der Autobahn: Wie hängt das alles zusammen?

Gott wollte es, daß mir neulich die Misopaste ausging. Wenig später traf ich im Bioladen den Kollegen Pilzer (Name geändert). Wir plauschten ein wenig, und am Ende wollte Gott noch, daß Pilzer ausrief wie folgt: „Na, dann sehn wir uns ja am Mittwoch in Berlin!“ Wie, Berlin? Was, Berlin? „Na wegen des Bremen-Musicals! Wir fliegen alle hin! Du nicht?“ Da ging ich vergnügt nach Hause und setzte mich ans Telefon.

Die Wahrheit ist, daß heute um 12.40 Uhr mit dem Flug LH 6024 eine Gruppe bremischer Journalisten auf Dienstsause geht, und eine städtische GmbH zahlt einfach alles, nämlich die Wirtschaftsförderungsgesellschaft (WfG), ein halbamtliches Unternehmen des Wirtschaftsressorts.

Nun muß man wissen, daß die WfG ihre ganze Unternehmerseele der Idee eines bremischen Musicalwelterfolges verschrieben hat. Auch ein würdiger Standort ist bereits ausgemacht: das alte Zentralbad am Richtweg, wo nach Markthalle und Astoria jetzt auch der Show-Park vollends verkracht ist. Dort soll nach dem Willen der WfG baldmöglichst der Musicalgroßunternehmer Friedrich „Cats“ Kurz groß herauskommen. Und das heißt übersetzt: Jetzt müssen langsam mal „die Medien“ ran.

Heute um 14 Uhr werden also neun bremische Journalisten und Journalistinnen durch die große Stadt Berlin kutschiert, um 16 Uhr steht der „Check-In Maritim Grand Hotel“ auf dem Programm, um 18 Uhr ein Gespräch mit dem leibhaftigen Friedrich Kurz, um 20 Uhr sitzen allesamt im Musical „Shakespeare & Rock & Roll“, um die nötige Sachkenntnis zu erlangen, und um 23 Uhr gibt's nochmal, daß nichts wegkommt, groß Abendessen bis ultimo, unmittelbar gefolgt von einem Frühstücksbuffet und irgendwann auch mal wieder dem Heimflug, wenn's grad am schönsten ist. Warum aber war die taz nicht dabei?

Die taz ist gar nicht eingeladen worden! Und warum nicht, Herr Heinrich Mura von der WfG? - „Oh!“ - Pause. Pause. Pause. - „Aber woher wissen Sie das überhaupt?“ Sag ich nicht. Herr Mura bittet um eine Minute Bedenkzeit. Dann ist er wieder dran und hat seine Stimme mächtig gesüßt: „Jetzt teste ich mal, wie flexibel Sie sind!“ sagt er. Aber bitte, sag ich, und schon kommt's frohgemut aus ihm herausgedröhnt: „Ja dann fliegen Sie doch einfach mit!“

Kann gut sein, sag ich voller Falsch und rufe den Senator Jäger an. Der bestätigt folgenden Sachverhalt: Der Showpark soll zu einer Stätte des Musicals mit 1.000 oder 1.200 Sitzplätzen umgebaut werden. Friedrich Kurz will die wechselnden Produktionen deichseln, die Stadt Bremen und die Eigentümer des Gebäudes, eine „M. Korn, Dr. S. Korn, M. Arend GbR“ in Frankfurt, beteiligen sich an den Umbaukosten.

Zunächst haben die drei Alliierten zusammen eine „Hanseatische Musical-Entwicklungs-Gesellschaft“ gegründet und mit 250.000 Mark ausgestattet. Das Geld ist für eine erste „Standortanalyse“ (und gelegentliche Flugreisen) gedacht; die „Bauvorplanung“ wird weitere 700.000 Mark kosten, und dann geht es womöglich erst richtig los. Daß die Goldgräberepoche der Musicals aber schon wieder vorbei sein könnte, glaubt Jäger nicht: „In London oder New York läuft das ja auch schon seit ewigen Zeiten!“

Auch Friedrich Kurz in Berlin leuchtet vor Zuversicht: „Ich habe schon den Eindruck, der Senat will das unbedingt“, sagt er. „Es wird aber sicher kein Mega-Musical mehr werden. Wir wollen jetzt stärker die Schauspieler rausbringen, die Musik. Die Leute schauen ja auch stärker aufs Geld“. Einen relativ erträglichen Durchschnittspreis von 80 Mark stellt er sich für Bremen vor, dafür will er fünf bis sieben Millionen investieren.

Wenn dann auch noch die Frage des Buszubringerverkehrs geregelt ist, könnte endgültig alles klar sein. Fragt sich nur noch, welches Stück in Bremen an den Start geht. Das weiß auch Kurz noch nicht,„aber bestimmt nichts mit den Stadtmusikanten. Im Moment geht der Trend ganz eindeutig zum Rock'n'Roll.“

Wer weiß, vielleicht enthüllt er heute der kleinen Flugreisegesellschaft noch irgend ein Geheimnis; dafür bin ich aber auch mit knapp acht Mark für ein halbstündiges Telefonat ausgekommen.

Am nächsten Tag kommen noch einmal zwei Mark hinzu, weil ich den verkrachten Showparkbetreiber Randolf Steger doch noch am Autotelefon erwische: „Ach“, sagt der Unbezwingliche, „da am Richtweg konnte ich nicht leben, das war ja schon nach 'nem halben Jahr klar. Immer die Nachbarn und so, die Einbahnstraßen, nee, da gehn wir raus, ist ja schon fast leer dort. Also ich, ich bau jetzt neu, wissense schon? Da draußen an der Autobahnausfahrt Hemelingen. Das wird so ein riesiger Glaspalast, eine Disco, wo man einfach mit'm Auto reinfahren kann, also ganz irre, kann ich Ihnen nächste Woche alles erzählen, nee, jetzt geht nicht, ich bin ja grad vorm Abflug nach London, dort kauf ich das neueste Virtuality-System, eine unglaubliche Geschichte! Also bis denne!“

Noch einmal 23 Pfennig kostete es gestern, Herrn Mura für das Angebot der Flugreise zu danken und es zugleich freundlich abzulehnen, und Herr Mura war untröstlich. „Wissen Sie, wir dachten uns, die taz hat da schon drüber geschrieben, die wird ja auf diesen Zug sowieso nicht aufspringen! Aber mittlerweile glaub ich, daß das ein ganz großer Fehler war!“

Meine Frage, ob der ganze Aufwand bloß für ein Gespräch mit Kurz nicht ein wenig übertrieben sei, warf ihn aber gleich wieder in die Ratlosigkeit zurück. Das sei doch nur normal, sagte er und verfiel in Nachdenken. Ach, und eben habe noch der Staatsrat Haller angerufen: Man möge mir doch sagen, „daß die Reise kostenlos ist. Vielleicht ist das nicht so richtig rübergekommen“, sagte Herr Mura. Doch doch, gerade das ist schon haargenau richtig rübergekommen.

Manfred Dworschak