Wenn die Schulden die Psyche martern

■ In Berlin sind inzwischen etwa 100.000 Haushalte überschuldet / Eine Ausstellung im Kreuzberger Bezirksamt befaßt sich mit der Problematik / Kreuzberger Beratungsstelle kann sich vor Hilfesuchenden ...

Die Talfahrt in den finanziellen Kollaps begann für Johannes S., nachdem seine berufstätige Frau ihn verlassen hatte. In die Haushaltskasse riß das ein gehöriges Loch, der Lebensstandard war nicht mehr zu halten. Als der 42jährige Vater von zwei Kindern schließlich auf Kurzarbeit gesetzt wurde, reichte das Geld hinten und vorne nicht mehr aus. Lebensmittel konnte er nur noch mit Kreditkarte kaufen. Heute hat Johannes S. 85.000 Mark Schulden bei sieben Gläubigern.

Johannes S. ist kein Einzelfall. Wie eine nun im Kreuzberger Bezirksamt eröffnete Ausstellung zeigt, gibt es in Berlin inzwischen etwa 100.000 Haushalte, die überschuldet sind. Konkrete Daten über die wirkliche Anzahl solcher Haushalte gibt es allerdings nicht, sagt Peter Zwegat von der Schuldnerberatung des Dienstleistungszentrums für Arbeitslose und Berufsangehörige e.V. („Dilab“) in Friedrichshain. Bekannt sei nur, daß verschuldete Haushalte im Westteil im Durchschnitt mit 50.000 Mark und im Ostteil mit 27.000 Mark in den roten Zahlen stehen.

„Die meisten Leute reden eher über Sexualität als über ihre Schulden. Zu einer Beratung kommen sie in der Regel nur dann, wenn es viel zu spät ist“, sagt Carlo Wahrmann-Kusnezow, Schuldnerberater im Bezirksamt Kreuzberg. „In der Hand halten sie oft eine volle Plastiktüte mit ungeöffneten Rechnungen und Mahnungen.“ Und dann heißt es für Wahrmann- Kusnezow, „Krisenintervention“ zu betreiben. Beispielsweise Gläubiger zu beruhigen und die Leute psychisch wieder aufzubauen.

Die Senatsverwaltung für Soziales und das „Dilab“ haben die Ausstellung deshalb unter das Motto „Reden über Schulden“ gestellt. Bis zum Ende dieses Jahres soll sie alle Bezirke Berlins durchlaufen. Auf zwölf Schautafeln wird anschaulich dokumentiert, wie schnell man in die „Schuldenspirale“ aus Kreditaufnahme, Arbeitslosigkeit und erneuter Kreditaufnahme geraten kann. Auch die üblen Tricks von Versicherungsunternehmen, Kredithaien und selbst seriösen Banken, mit denen sie den finanziell Schwachen das letzte Geld aus der Tasche ziehen, werden entlarvt.

„In Friedrichshain“, sagt Zwegat, „war die Ausstellung ein voller Erfolg.“ Die Beratungsgespräche hätten danach zugenommen. Sein Kollege Wahrmann-Kusnezow hat gemischte Gefühle bei solchen Erfolgsmeldungen. Er ist der einzige Schuldnerberater in Kreuzberg. „Ich muß jetzt schon jeden Monat 25 Fälle wegen Überlastung nach Hause schicken.“ Gerade sein Bezirk sei stark von Überschuldung betroffen, weil hier die Personengruppen leben, die am ehesten in die „Schuldenspirale“ geraten: Arbeitslose, junge Familien und alleinerziehende Frauen. Olaf Bünger

Die Ausstellung wird bis zum 14. August im Bezirksamt Kreuzberg gezeigt. Mo.–Fr. 9 bis 18 Uhr. Weitere Informationen unter Tel.: 25 88 21 63. Ab Anfang März kann man bei der „Dilab“ in Friedrichshain sämtliche Schautafeln kostenlos in Plakatform erhalten. Tel.: 707 50 74.