Tritte, Schläge, Flüche etc.
: Schlagen, zuschauen und darüber reden

■ Sozialwissenschaftler rangen in Berlin mit den vier großen Übeln: Gewalt, Nationalismus, Rassismus, Xenophobie

Wie über Gewalt reden? Interdisziplinär natürlich. Gewalt hat viele Facetten, nicht zuletzt wegen der Allgemeinheit des Begriffs und auch wegen seines inflationären Gebrauchs. Wie vielleicht bei kaum einem anderen Thema scheint es hier notwendig, die Blickwinkel verschiedener Wissenschaften zusammenzufassen. Das hat man dann auch vier Tage lang im Berliner Institut Français versucht. Vom 10. bis zum 13. Februar ging es in 36 Vorträgen um „Gewalt. Nationalismus – Rassismus – Ausländerfeindlichkeit“.

Michel Wieviorka aus Paris wies zunächst darauf hin, daß sich das Problem immer in doppelter Gestalt stellt: Zum einen als reale Gewalt und zum anderen als wahrgenommene. Wie wird uns die reale Gewalt vermittelt, wie tritt sie in unser Bewußtsein? Die Medien hätten die Tendenz, das Thema entweder zu ignorieren oder es zu überschätzen. Ilona Renner vom Informationszentrum für Sozialwissenschaften in Bonn fragte, ob die Forschung nicht genau so verführe.

Mit Hilfe von computergestützten Analysen der Veröffentlichungen im sozialwissenschaftlichen Bereich läßt sich zeigen, daß die Popularitätskurve von Forschungsthemen wie „Gewalt“ meist einen typischen Verlauf nimmt: Angefangen bei den Untersuchungen einiger Außenseiter, stößt das Thema ins Zentrum der Aufmerksamkeit vor und verschwindet dann irgendwann wieder in den Elfenbeintürmen. Sozialwissenschaftler stehen unter einem anderen Legitimationsdruck als die Kollegen von den Naturwissenschaften. Von ihnen wird schließlich erwartet, sich auch vor dem Interesse der Öffentlichkeit zu rechtfertigen.

Ilona Renner, die darüber sprach, brachte also indirekt die Tagung selbst in die Diskussion. Aufgeschreckt durch die neue Aktualität und die neuen Formen des Phänomens, gingen die TeilnehmerInnen auf verschiedenen Wegen auf das Thema zu. Die einen versuchten es deskriptiv, wie etwa die amerikanische Kulturanthropologin Diane Brook, die über Rassismus und Gewalt im südafrikanischen Schulsystem berichtete, oder Maria Olujic aus Zagreb (jetzt in den USA tätig), die über das Ausmaß und den Stellenwert der Vergewaltigungen im bosnischen Bürgerkrieg sprach. Dann auch klassifizierend-ordnend, wie unter anderem Panikos Panayi aus Leicester, der darauf bestand, daß man unterscheiden müsse zwischen isolierten Angriffen einzelner, allgemeinen Tumulten, die sich gegen Minderheiten richten (Hoyerswerda, Rostock), und schließlich einer staatlich organisierten Politik der Vernichtung (Genozid). Man wird entsprechend auch nach anderen Ursachen und Gründen forschen müssen. Auch die Erziehungswissenschaftler Meredith Watts und Jürgen Zinnecker (Siegen), die über die Neigung zur Gewalt bei männlichen Jugendlichen referierten, betonten, daß es zu nichts führe, diese Jugendlichen als latent faschistisch zu bezeichnen. Das helfe nicht, sie zu verstehen, ihren Lebensstil, ihre Werte, ihre Motive. Die seien nämlich sehr unterschiedlich, je nachdem, ob sich die Gewalt eher in subkulturellen Gruppen, im Alltag oder in politischen Kontexten zeige.

Schließlich durchmusterten die einzelnen Disziplinen ihren theoretischen Fundus auch daraufhin, was sie an Erklärungsansätzen bereithielten. Von den Psychologen sprach sich etwa Hinderk Emrich („Selbstpsychologische Erklärungsmodelle für Aggression“) gegen biologistische Modelle aus, die Aggression als Rückfall in irgendeine Triebnatur interpretieren. In der Gewalt kämen vielmehr Störungen der Identitätsbildung zum Ausdruck. Christiane Buhmann (FU Berlin) versuchte Fremdenfeindlichkeit im Lichte der Lacanschen Aggressionstheorie zu interpretieren (und enttäuschte dabei aufs angenehmste die Erwartungen, daß sich Lacan ohnehin nicht darstellen oder verstehen ließe).

Immer mehr zeigt sich dabei, daß der Gewalt nicht mit monokausalen Deutungsmustern beizukommen ist, sei es, daß sich die Erklärung einseitig auf soziale oder ökonomische Bedingungen wie Arbeitslosigkeit oder Mangel an Jugendclubs bezieht, sei es, daß man den Verfall von Normen und Werten beklagt, sei es auch, daß man nach unseren anthropologischen Grundlagen sucht. („Wir alle sind Rassisten!“ meinte ebenso selbstzerfleischend wie verharmlosend ein Erziehungswissenschaftler.)

Und hier zeigten sich dann an der Berliner Gewalt-Tagung auch exemplarisch die Grenzen, an die die Sozialwissenschaften heute stoßen, wenn sie sich die Themen in solcher Breite vornehmen. Interdisziplinarität ergibt sich nicht allein daraus, daß sich unterschiedliche Fachrichtungen zusammensetzen und einander zuhören. Da ist noch das Problem der Anschlußfähigkeit: Wie lassen sich etwa psychologische, soziologische und sprachwissenschaftliche Untersuchungen sinnvoll aufeinander beziehen? Diese methodische Frage müßten sich die Forscher eigentlich schon bei der Arbeit stellen, nicht erst auf den Kongressen. Vielleicht bedarf es einer Instanz, die sich solch eine Vermittlung selbst zur Aufgabe macht. Rüdiger Zill