„Rio war eine große Betrugsgeschichte“

■ Interview mit dem indischen Ökologen Anil Agarwal

taz: Was denken Sie als Ökologe aus einem der Länder des Südens über die Beschlüsse der Rio-Konferenz?

Anil Agarwal: Die Frage hat mehrere Ebenen. Natürlich muß man zur Kenntnis nehmen, daß Produktion und Konsum von Energie heute weltweit ein solches Niveau erreicht haben, daß die Produktion eines Landes das Leben in einem anderen beeinträchtigen kann. Es reicht daher nicht mehr, sich nur um seinen eigenen Hinterhof kümmern. Ein Stück globales Management ist notwendig.

Genau das wird doch mit der Klimakonvention versucht.

Langsam. Globales Management könnte demokratisch und sozial gerecht gedacht werden – die Alternative ist ein diktatorischer Ansatz. Bei der Verabschiedung der Klimakonvention in Rio ist nicht die Demokratie, sondern ein diktatorischer Ansatz gewählt worden. Die Konvention etabliert ein „Command and Control“-System nach sowjetischem Vorbild. Wann immer es ein Problem gibt, setzt sich ein Rat von Staatsdeputierten zusammen und schafft internationales Recht, welches dann unabhängig von den Eigenheiten der Länder eingehalten werden muß. Das war schon in der UdSSR ineffizient. Trotzdem wird versucht, auf diese Art globale Umweltpolitik zu betreiben. Das ist nicht sehr demokratisch und auch nicht besonders marktwirtschaftlich.

Sie sind doch kein Vertreter der Marktideologie.

Das Problem mit der Klimakonvention ist ein anderes. Westliche Politiker reden aber vom Markt nur, wenn ihnen der Markt paßt, und praktizieren „Command and Control“, wenn ihnen und ihren Konzernen das besser paßt. Der Norden kann dem Süden doch nicht sagen, alles muß marktwirtschaftlich geregelt werden, nur die Umwelt nicht. Genau das aber ist in Rio passiert. Der Westen hat sich bewußt vor Marktwirtschaft in der globalen Klimapolitik gedrückt. Andernfalls hätte er nämlich für den übermäßigen Verbrauch an globalen Ressourcen zahlen müssen.

Was heißt für Sie Marktkonzept in der globalen Klimapolitik?

Jeder muß atmen, produziert also Kohlendioxid. Das ist ja auch kein Problem, das kann die Erde verkraften. Die Erde kann sogar noch weit mehr Emissionen verkraften, doch irgendwo ist die Grenze. Mit dieser Menge möglicher Emissionen kann man einen Markt schaffen. Jeder Mensch hat das gleiche Anrecht auf einen Teil dieser Atmosphäre. Derzeit verbrauchen die Einwohner der Bundesrepublik und der USA einen großen Teil der Atmosphäre, der ihnen gar nicht gehört. Auf einem Markt müßten sie dafür zahlen. Mit technologischen Folgen: Wenn die Automobilindustrie des Nordens für diesen Verbrauch mit Milliarden zahlen müßte, würde das einen Technologieschub bewirken, weil der Verbrauch sonst zu teuer wäre. Das ist es aber eben nicht, was sie in Rio beschlossen haben. Statt dessen haben sie eine internationale Konvention beschlossen nach dem Motto: Es gibt zwar jemanden, der den Schaden verursacht hat, aber laßt ihn uns gemeinsam beheben.

Die Regierungen des Südens, auch die indische, haben dem zugestimmt.

Ich kritisiere die indische Regierung dafür, auch wenn ich in Rio ein Mitglied der indischen Delegation war. Als die Entwicklungsländer grummelten, sie seien doch gar nicht hauptsächlich verantwortlich, hat man bei den Rio-Vorbereitungen gesagt: Okay, okay, wir geben euch ein paar finanzielle Brosamen zusätzlich. Wenn Indien irgendwelche Entwicklungshilfe deshalb bezieht, hat die aber nicht die Regierung und die Oberschicht verdient, sondern die Armen, die eben kein Kohlendioxid in die Luft blasen.

Wenn die Regierungen des Südens demokratisch wären und die Interessen ihrer Bevölkerungen verträten, hätten sie das verhindern müssen.

Es ist noch komplizierter. Natürlich vertritt die indische Regieung nicht die Mehrheit der Armen im Land. Globale Demokratie ist dennoch nötig. Bangladesch und die Malediven gehören zu den vom Treibhauseffekt am stärksten betroffenen Staaten. Sie können aber heute die Konsummuster in den USA nicht ändern, während die USA sehr wohl auf die Wirtschaft der Malediven Einfluß nehmen können. Da bräuchte es schon eine neue globale Demokratie, damit die Bangladeschi die deutsche Regierung zur Rede stellen und sagen könnten: So geht das nicht. Ihr könnt nicht für euren Konsum mein Überleben aufs Spiel setzen. Diese globale Demokratie aber war kein Thema der Rio-Konferenz, Armut war kein Thema. Rio war eine der größten Betrugsgeschichten der Menschheit.

Gespräch: H.-J. Tenhagen