„Wir sind Spieler geworden“

■ Interview mit dem bosnischen Regisseur Benjamin Filipović über seinen Sarajevo-Film „Mizaldo – das Ende des Theaters“

taz: Herr Filipović, Sie präsentieren in Ihrem Film „Das Ende des Theaters“ Sarajevo auf äußerst ungewöhnliche Art. Sie arbeiten mit clownesken Mitteln, Sie persiflieren westliche Werbung, oder Sie lassen einen lächerlichen Pseudo-Hitler auftreten. Für Zuschauer, die bestimmte Bilder aus Sarajevo erwarten, wird das ein ziemlicher Schock sein, weil Sie genau diese Bilder verweigern.

Benjamin Filipović: Weil alle diese Dinge, die aus Sarajevo kommen, alle diese Bilder eng mit bestimmten Inhalten verbunden sind. Die Nachrichten zeigen vor allem Blut, Leiden, tote Menschen auf der Straße, eben diese schockierenden Dokumentarfilm-Bilder. Wir wollten das richtige Sarajevo zeigen. Horror und Apokalypse, das ist etwas, was von außen kommt, das ist nicht das wahre Sarajevo. Eine der Möglichkeiten, uns zu wehren, besteht darin, daß wir erzählen, wie wir in Wirklichkeit sind. Also habe ich zu zeigen versucht, daß wir selbst inmitten der Hölle nicht vergessen haben, wer wir sind, warum wir leben.

Ich habe über Humor nachgedacht, über die verschiedenen Möglichkeiten, etwas mit Sarkasmus zu erzählen. Das ist eine Art psychologischer Selbstverteidiigung, die jedem einzelnen Bürger von Sarajevo möglich ist. Denn wenn man in einer solchen Tragödie lebt, dann muß man doch schon am zweiten Tag verrückt werden. Wenn man 23 Monate lang ohne Wasser, ohne Elektrizität, ohne Gas lebt, wenn man zwei Jahre lang ohne die Familie lebt, weil die Familienmitglieder über die ganze Welt verstreut sind, dann braucht man eine Art Zaun um sich herum, um sich zu verteidigen. Und der kann auch aus Humor bestehen. Natürlich ist das ein sehr trauriger Humor. „Mizaldo – Kraj teatro“, der Film, über den wir sprechen, ist ein Film, der eigentlich nur als trauriger Film zu verstehen ist.

Filmemachen und Wirklichkeit sind im Augenblick in Sarajevo sehr eng miteinander verbunden. Wie weit kann man da gehen?

Wenn Sie das physisch meinen: Alles, was man draußen, auf den Straßen unternimmt, ist extrem gefährlich. Aber es gibt natürlich eine Menge Leute, die nichts mit Filmemachen oder mit Kunst zu tun haben, und die ebenfalls ein großes Risiko eingehen, allein schon wenn sie sich um Brot anstellen. Wir leben unter Bedingungen, wo es uns an Muße fehlt, lang über die Risiken nachzudenken. Wir sind alle Spieler geworden, dort unten in Sarajevo.

Anders verhält es sich, wenn wir über die moralischen und ethischen Grundlagen eines Films oder eines Kunstwerks sprechen. In Sarajevo nennen wir das unsere Form von Verteidigung. Eine geistige Verteidigung, wenn Sie so wollen. Aber ohne Gewehre gibt es keine Verteidigung. In gewisser Weise machte das Sarajevo – kann ich das Wort benutzen? – populär, interessant. Jeder möchte gern wissen, was in Sarajevo los ist. Wie es möglich ist, daß eine Stadt überlebt, die kein Wasser hat, keine Elektrizität, kein Gas, nichts. Aber gleichzeitig spielen die Theater. Wir haben zwei Kinos, es finden Konzerte statt, und jetzt kommt dieser Film aus Sarajevo. Wir mußten diesen Film einfach drehen, deshalb haben wir auch nicht über persönliche Risiken nachgedacht. Es war gewissermaßen Ehrensache. Wir sind anders, als die Welt uns sieht, und wir wollten das zeigen.

Sie haben den Film zusammen mit einem Freund gedreht. Warum ist er nicht mit nach Berlin gekommen?

Ich habe den Film zusammen mit meinen Freund Semezdin Mehmedinović gemacht. Semezdin ist Dichter. Vor einem Jahr haben wir unsere Ideen zusammengetragen, eine Menge darüber geredet, und dann „Mizaldo“ gedreht. – Mizaldo muß man rückwärts lesen, odlazim, auf bosnisch heißt odlazim: Ich gehe weg. Als wir hierher, nach Berlin, eingeladen wurden, entschlossen wir uns, zusammen zu fahren, mein Freund, unser Produzent und ich. Aber plötzlich konnten wir Sarajevo doch nicht verlassen. Einige Staaten wollten nicht, daß wir ihre Flugzeuge bestiegen.

Also sagte ich zu meinen Freunden: Tut mir leid, ich nehme meine Unprofor-Akkreditierung und fliege allein nach Berlin zur Filmvorführung. Vielleicht können die beiden noch nachkommen, aber leider haben sie keine Presse-Akkreditierung der United Nation Protection Forces. Das ist die einzige Möglichkeit, aus Sarajevo rauszukommen, denn wir sind völlig eingeschlossen. Es gibt keine Straße, die rausführt. Interview: Maximilian Preisler