Diogenes vor der Tonne

■ Schauspielhaus: Uraufführung von Tankred Dorsts „Herr Paul“

Ein mal wieder beeindruckend schöner Raum von Anna Viebrock, Charaktere, die die Phantasie entführen könnten und ein prinzipiell interessanter Konflikt, daraus hätte etwas werden können. Doch zwei, die im Hintergrund das Spinnennetz für die frei umher schwirrende Faszination weben sollten, spielten da nicht mit: Der Autor und der Regisseur. Tankred Dorsts dünnes Dramensüppchen über Diogenes und Alexander im 20. Jahrhundert, über Lebenskunst und Eroberergeist, über den Deutschen und den Deutschen „Herr Paul“ läßt sich streckenweise wie ein großer Roman mit Kreislaufschwierigkeiten an und Regisseur Jossi Wieler findet dazu kein Aufputschmittel.

Erzählt wird ein Abend in einer alten Seifenfabrik, in der sich Herr Paul (Peter Roggisch) und seine Schwester Luise (Marlen Diekhoff) wie in eine Kreuzberger Loftgemeinschaft eingerichtet haben. Rund um einen großen Seifenkocherkessel stapeln sich anatomische Bücher, Waschzuber mit dem Notwendigsten stehen auf dem Boden und ein Pianola dient als Küchentisch. Helm (Michael Wittenborn), der junge Erbe des Gebäudes, will mit einem Investor (Burghart Klaußner im Erich-Honecker-Outfit) nun eine Wäscherei hier einrichten und die alten Leute umsiedeln. Als Feigling, der sich gerne rücksichtslos gebärden möchte, zerschellt sein Ansinnen immer wieder an der stoischen Altklugheit des Gewohnheitsphilosophen Paul.

Zwar gelingen Wieler immer wieder schöne Momente, etwa zwischen Herrn Paul und dem verwahrlosten Mädchen Anita (Ulrike Grote) oder mit der Figur der liebenswerten Helm-Freundin Lilo (Catrin Striebeck), so daß die fast dreistündige Inszenierung nie wirklich langweilt. Aber der zentrale Konflikt zwischen Herrn Paul und Helm ist eigentlich nie brisant. Vor allem aber bleiben viele Handlungen Helms in ihrer Motivation unstimmig und der streckenweise wirklich papiernerne Text ermüdet dann. Ein handwarmes, weniger aufstachelndes Endergebnis also.

Till Briegleb