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Amerikas „Schule der Diktatoren“

Vom gar nicht mehr einsamen und phantasievollen Kampf des Seefahrers, Vietnam-Veteranen und Priesters Roy Bourgeois gegen das US-Ausbildungszentrum für lateinamerikanische Soldaten  ■ Aus Columbus Andrea Böhm

Man hat unweigerlich ein wenig Angst um ihn. Auch wenn es eigentlich seine Aufgabe ist, sich um andere Sorgen zu machen: schließlich ist er seit über 20 Jahren Missionar. Aber für einen Mann, der gern Blutbeutel auf militärische Ehrenmäler wirft oder nachts Soldaten mit Geisterstimmen aus dem Schlaf schreckt, ist Columbus kein sicheres Pflaster. Hier sind die Waschsalons nach der „US-Cavallery“ benannt, die Hauptstraße heißt „Victory Road“, und die Firma „Budweiser“ hat sogar ihre Bierwagen mit grün-brauner Tarnfarbe angestrichen. Hier muß der Friseur vor allem Nacken ausrasieren; das benachbarte Tätowierstudio hat sich auf Militärinsignien spezialisiert. Pfandleiher, Puffs, ein paar Tankstellen, Army-Surplus- Läden, Supermärkte und eine Bowlinghalle komplettieren das Angebot. Fast alles ist zugeschnitten auf das benachbarte Fort Benning, einer der größten Armeestützpunkte in den USA.

Aber nach so vielen Jahren hat man sich hier an den Mann mit dem komischen Namen und dem Lausbubengesicht gewöhnt – und an die seltsamen Prozessionen, die er häufiger über die „Victory Road“ führt. Heute, bei strömendem Regen, sind es ältere Herren in abgewetzten Uniformen und Kampfstiefeln; blond ondulierte Damen, in der einen Hand die amerikanische Nationalfahne, in der anderen einen Regenschirm; rüstige Mittfünfziger mit ergrauten Indianerzöpfen und Jagdmessern im Gürtel. Die Herren geben sich mit Ansteckern und Aufnähern als „Veterans For Peace“ zu erkennen – angereist aus allen Ecken der USA. Die meisten von ihnen waren im Vietnamkrieg und reagieren seitdem mit tiefstem Mißtrauen auf jeden außenpolitischen Winkelzug ihrer Regierung – egal, wer gerade Präsident ist.

Rund 150 mögen es sein. Für Fort Benning ist das eine mittelgroße Demonstration – wieder einmal initiiert von Pater Roy Bourgeois. Der trabt gutgelaunt nebenher, obwohl aus seinen braunen Locken mittlerweile das Regenwasser tropft und seine Schuhe bei jedem Schritt schmatzen wie Saugnäpfe. „Meine Güte“, sagt er vergnügt, „bei allen anderen Aktionen war schönes Wetter. Jetzt darf's auch mal regnen.“

Das Objekt ihres Protestes liegt nun, am Ende des Protestmarsches, nur wenige Meter vom Eingang zur „Military Reservation“ entfernt: die „School of the Americas“ (SOA), US-Ausbildungszentrum für mittel- und südamerikanische Soldaten und Offiziere. In vielen lateinamerikanischen Ländern ist die SOA besser unter dem Spitznamen „Schule der Diktatoren“ bekannt. Pater Roy Bourgeois nennt sie einfach „Schule der Mörder“.

So etwas hört man weder in den Kasernen von Fort Benning noch im US-Verteidigungsministerium gern. Nach offizieller Darstellung lernen die Soldaten und Offiziere aus Kolumbien, Chile, Peru oder El Salvador hier erstens den professionellen Umgang mit amerikanischen Waffen und zweitens Respekt für amerikanische Werte, zum Beispiel die Achtung der Menschenrechte. Wirft man einen Blick auf das Kursangebot, so stehen andere Lernziele im Vordergrund: Aufstandsbekämpfung, Training für Scharfschützen oder psychologische Kriegführung. „Classroom for Low Intensity Conflict“ ist an der Tür zu einem der Unterrichtsräume zu lesen – damit verbringen Schüler und Ausbilder die meiste Zeit.

„Low Intensity Conflict“, im Pentagon zeitweise auch in „Peacetime Engagement“ umbenannt, ist euphemistisches Synonym für die US-Politik der letzten drei Jahrzehnte gegenüber Mittel-und Südamerika. Mit „Low Intensity“ ist nicht die geringe Intensität kriegerischer Gewalt gemeint, sondern die geringe direkte Beteiligung US-amerikanischer Truppen an militärischen und politischen Maßnahmen zur „Stabilisierung“ befreundeter Länder. So wurden und werden Militärs der betreffenden Nationen ausgebildet und „professionalisiert“ – und das bei geringstmöglicher Intensität der öffentlichen Debatte über diese Ausbildung in den USA.

Insgesamt 56.000 Soldaten und Offiziere haben seit der Gründung im Jahre 1946 an der SOA Unterricht genossen – bis 1984 in Panama, dann in Fort Benning im US-Bundesstaat Georgia. Eine kleine Auswahl der prominenteren Absolventen liest wie eine Anklageliste von „amnesty international“: Leopoldo Galtieri, 1981 und 1982 Chef der argentinischen Militärjunta, die in ihrem selbsterklärten „schmutzigen Krieg“ 30.000 Menschen ermorden oder „verschwinden“ ließ; General Lucas Garcia, zwischen 1978 und 1982 Diktator in Guatemala, unter dessen Herrschaft Regierungstruppen mindestens 25.000 Menschen, zumeist Bauern, töteten; Major Joseph-Michel François, amtierender Polizeichef in Haiti und einer der führenden Putschisten gegen den demokratisch gewählten Präsidenten Jean-Bertrand Aristide; fünf honduranische Offiziere, die nach Angaben der Menschenrechtsgruppe „America's Watch“ die Todesschwadron „Battalion 316“ gegründet haben; 105 von 246 kolumbianischen Militärs, die 1993 von internationalen Organisationen der Menschenrechtsverletzungen angeklagt wurden; Roberto d'Aubuisson, Koordinator der salvadorianischen Todesschwadronen und unter anderem verantwortlich für den Mord an San Salvadors Erzbischof Oscar Romero im Jahre 1980.

Vermutlich würde der Betrieb der „School of the Americas“ bis heute ungestört von öffentlichen Diskussionen ablaufen, wäre nicht irgendwann dieser freundliche Querulant mit seiner höchst unorthodoxen Vorstellung von Missionarsarbeit aufgetaucht. Dabei hat es den Pater mit dem säkularen Namen, Nachkomme französischer Einwanderer aus dem Bundesstaat Louisiana, eigentlich immer zur See gezogen. Diese Vorliebe, gepaart mit glühendem Patriotismus, trieb ihn 1962 in die Navy und ein paar Jahre später in den Vietnamkrieg. „Ich war ein richtiger Falke“, sagt er heute. „Und den Kampf gegen den Kommunismus habe ich für meine Pflicht gehalten.“

Der Krieg trieb ihm jeden Patriotismus und jede Faszination für das Militär aus – so radikal, daß er nach seiner Heimkehr zum Schrekken seiner Familie verkündete, Priester werden zu wollen. Aus Roy Bourgeois wurde Pater Roy, der 1972 an seine erste Arbeitsstätte, ein Armenviertel in Boliviens Hauptstadt La Paz zog – und damit in die Nachbarschaft eines prominenten Schülers der SOA: General Hugo Banzer Suarez, der ein Jahr zuvor die Macht durch einen Militärputsch übernommen hatte. 1975 ließ er den Pater ausweisen. Der hatte sich nicht auf das Taufen von Kindern und das Lesen der Messe beschränkt, sondern auch politische Gefangene betreut und eine Menschenrechtskommission gegründet. Jahre später sollten sich ihre Wege noch einmal kreuzen: in Fort Benning, wo Hugo Banzer Suarez auf Geheiß des US-Außen- und Verteidigungsministeriums mit militärischem Zeremoniell als erster SOA-Absolvent in die neu geschaffene „Ehrenhalle“ geführt wurde.

Was den Pater letztlich veranlaßte, seine Missionsarbeit nach Fort Benning im Bundesstaat Georgia zu verlegen, war ein kurzer Artikel mit der Überschrift „525 salvadorianische Soldaten zur Ausbildung nach Fort Benning“, erschienen im März 1983 in der New York Times. Der Pater traf wenige Tage nach den Salvadorianern ein, nahm sich ein Zimmer und lud zwei Tage später zu seiner ersten Protestveranstaltung ein. Es kamen 4 Leute. Eine Woche später erschienen 15, zwei Wochen später gab der Pater seine erste Pressekonferenz. Die „Veterans for Peace“ und CISPES, eine US-Solidaritätsorganisation für El Salvador, wurden aufmerksam. Es folgten Mahnwachen und die erste Demonstration vor der Militärbasis mit 400 Leuten – für dortige Verhältnisse eine Großveranstaltung.

Bourgeois' Gesicht war nach kurzer Zeit so bekannt, daß die Wachposten vor dem Stützpunkt an jenem Augustabend eigentlich hätten stutzen müssen, als ein Major Bourgeois in Uniform das Tor passierte und sich mit zwei weiteren Uniformierten vor dem Quartier der salvadorianischen Truppen an einem Baum zu schaffen machte – ausgestattet mit Steigeisen, einem Kassettenrecorder und Lautsprecherboxen. Kurz nach Einbruch der Dunkelheit schreckten die Salvadorianer aus den Betten und bekreuzigten sich. Aus dem Baumwipfel sprach der Erzbischof von San Salvador, Oscar Romero, und hielt noch einmal jene Predigt, die er 1980 am Abend vor seiner Ermordung gehalten hatte: ein Appell an die Soldaten seines Landes, die Waffen niederzulegen und ihrem Gott statt ihren Offizieren zu gehorchen.

Die Genugtuung über diese Aktion steht ihm heute noch ins Gesicht geschrieben. „Die Militärpolizisten standen unten und wußten nicht, wie sie uns vom Baum kriegen sollten“, sagt er und lacht, als hätte er sich diese logistische Meisterleistung selbst nicht zugetraut. Der Richter lachte nicht und verurteilte ihn zu achtzehn Monaten Gefängnis wegen Landfriedensbruchs und „Nachahmung eines Offiziers“. Pater Roy wurde ein paar Jahre später rückfällig und wegen Landfriedensbruchs und Beschädigung von Regierungseigentum zu sechzehn Monaten Haft verurteilt: Er hatte die Ehrenhalle der SOA, in der neben Hugo Banzer Suarez mittlerweile weitere Diktatoren und Mitglieder von Militärjuntas verewigt sind, mit Blut bespritzt.

„Ziviler Ungehorsam“, sagt er, nachdem er sich aus seinem Mini- Apartment neben der Militärbasis ein paar trockene Kleider besorgt hat, „hilft mir, meine persönliche Integrität zu bewahren.“ Und es hilft, seinen Namen populär zu machen und den der Schule in Verruf zu bringen. Inzwischen ist der Pater längst kein Don Quijote mehr und der Protest gegen die „School of the Americas“ kein Kampf gegen Windmühlenflügel. Das ist nicht zuletzt dem Wandel des politischen Klimas geschuldet: Mit dem Ende des Kalten Krieges und dem Antritt der Clinton-Administration ist man in den USA in eine Glasnost-Ära eigener Prägung eingetreten. Tonnen von bislang geheimem Aktenmaterial werden öffentlich gemacht. Auch die SOA ist nicht mehr unantastbar. Ein Antrag des demokratischen Abgeordneten Joseph Kennedy, die Finanzmittel für die Schule zu streichen, scheiterte zwar im September letzten Jahres. Doch das Abstimmungsergebnis: 174 Jastimmen bei 256 Neinstimmen, stimmt Pater Roy durchaus optimistisch für einen weiteren Versuch im Jahre 1994.

Schulleitung und Verteidigungsministerium spüren den Druck und betreiben Imagepflege. Im März 1993 wurde erstmals ein Vertreter einer Menschenrechtsgruppe zum Referat eingeladen; die Ausbilder sollen in Zukunft zwölf Stunden „Menschenrechtstraining“ absolvieren müssen, bevor sie unterrichten dürfen; und ein vierstündiger obligatorischer Kurs über Menschenrechte ist inzwischen Teil des Stundenplans. Viel nützt das offenbar nicht. Nach Informationen der Zeitschrift Newsweek „erschießen“ zum Beispiel honduranische und kolumbianische Trainingsgruppen bei simulierten Durchsuchungen von Dörfern in der Hälfte der Übungen den Priester.

Für den Pater ist das Grund genug, in Fort Benning zu bleiben. In dieser Hinsicht legt er eine protestantische Arbeitsethik an den Tag: Er geht erst, wenn seine Aufgabe erledigt ist und „sie die Schule dichtgemacht haben“. Dann will er ans Meer oder auch in die Cañons von Arizona. Irgendwohin, wo keine Menschen sind.

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