Tee: edel, aber belastet

Händlerlobby kämpft für höhere Grenzwerte bei Pestizidrückständen

Teehandel ist ein außerordentlich einträgliches Geschäft. „Die Gewinnspannen sind derart hoch, daß sie nur noch von denen im Pornogeschäft übertroffen werden“, sagt ein Hamburger Teeverkäufer. Allein der Marktführer Teekanne setzt über die Hälfte des in Deutschland verkauften Tees um. Die Großhändler profitieren davon, daß die Deutschen immer mehr Tee trinken und dabei edlen Tee für teures Geld bevorzugen. Seit einigen Wochen jedoch müssen sie um ihren Absatz kämpfen – und das auf ungewohntem Feld: in den Bürostuben der Bundesregierung, wo wichtige politische Entscheidungen vorbereitet werden.

Um die Jahreswende wurde der Teehandel von der Meldung kalt erwischt, daß bei Tee-Stichproben überhöhte Werte des Pestizides Tetradifon festgestellt wurden. Seit fast zehn Jahren sind Einsatz und Vertrieb dieses Insektenvernichtungsmittels in Deutschland verboten. Die Biologische Bundesanstalt hatte 1985 die Zulassung zurückgenommen. Seit Juli 1992 dürfen Lebensmittel auch keine meßbaren Rückstände mehr enthalten. Dies bestimmt die damals verabschiedete Höchstmengenverordnung, die den Grenzwert für Tetradifon auf 0,01 mg pro Kilo Tee und damit auf die unterste Grenze der Nachweisbarkeit festsetzte.

Als jedoch im vergangenen Herbst Tees von einem unabhängigen Lebensmittelinstitut auf Pestizidrückstände hin untersucht wurden, stellten die Chemiker fest, daß die Tees den Grenzwert zum Teil erheblich überschritten. So enthielt die Probe „Darjeeling Gold“ des Marktführers Teekanne („eine auserlesene Mischung feinster Blatt-Tees“) 0,24 mg und damit das 24fache der erlaubten Menge Tetradifon. Selbst bei einer Stichprobe von Tee der alternativen Kreuzberger Firma Ökotopia wurden die Gutachter fündig: 0,045 mg – und damit das Vierfache der erlaubten Höchstmenge – wurden bei einer Stichprobe des „Ökotopia Darjeeling First Flush“ festgestellt. Ökotopia, das seinen Tee über den Wuppertaler Dritte- Welt-Handel gepa bezieht, wirbt damit, daß der Tee rückstandskontrolliert sei. Die inkriminierte Probe hatte zudem das ökologische Gütesiegel von Naturland.

In einer ersten öffentlichen Reaktion verliehen gepa und Naturland ihrer „Betroffenheit“ Ausdruck, „daß Tetradifon in einem ökologisch erzeugten Tee nachgewiesen wurde“. Ökotopia erklärte, „daß wir jeglichen Pestizideinsatz – vor allem im ökologischen Landbau – und auch die Wiederzulassung von Tetradifon ablehnen“. Zugleich startete Ökotopia eine Rückrufaktion für den belasteten Tee.

Weitaus schwieriger ist das Problem für die Firmen, die mit dem Teehandel das große Geschäft machen. Gute Kenner des Teehandels in Hamburg schätzen, daß zwischen 40 und 80 Prozent der dort lagernden Tees nicht verkehrsfähig sind, weil sie nach den bundesdeutschen Bestimmungen zu hohe Pestizid-Rückstände aufweisen. Das heißt, so der Inhaber eines Teeladens in der Hansestadt, „Hunderte oder gar Tausende Tonnen Tee dürften eigentlich gar nicht verkauft werden“. Beim Marktführer Teekanne, meldet das Magazin Ökotest im Februarheft, überschreite die Hälfte der getesteten zum Verkauf abgepackten Tees die gesetzliche Grenze. Die meisten dieser Tees werden trotzdem der Kundschaft angeboten.

Da der Tee nach der letzten Ernte von den Großhändlern eingekauft worden ist und nun das Geschäft mit dem Verkauf laufen muß, stehen nach den Schreckensmeldungen aus den Lebensmittelinstituten Millionengewinne auf dem Spiel. Der Verband des Tee- Einfuhr- und -Fachgroßhandels hat denn auch rasch reagiert. Er hat sich massiv dafür eingesetzt, daß der Grenzwert für Tetradifon heraufgesetzt wird. Der Zufall wollte es, daß die Europäische Union gerade einheitliche Grenzwerte für Rückstände bei einer Reihe von Pflanzenschutzmitteln festsetzt. Dadurch tritt in wenigen Wochen auch in Deutschland eine neue Höchstmengenverordnung in Kraft. Nach der neuen Verordnung sind Tetradifon-Rückstände auf Zitrusfrüchten und Paprika erlaubt. Nach intensiven Bemühungen des Teeverbandes, vor allem beim Bundesgesundheitsministerium, darf bald auch Tee wieder Tetradifon enthalten – allerdings in geringen Mengen. Statt mit 0,01 mg pro Kilo dürfen die Blätter mit 0,05 mg belastet sein. Da die festgestellten Werte zum Teil weit darüber hinausgehen, wird das dem Großhandel wenig nützen.

Eine weitergehende Erhöhung des Grenzwertes ist das eigentliche Ziel der Unternehmen: „Das ist uns im ersten Durchgang nicht gelungen“, gibt die Geschäftsführerin des Teeverbandes, Dr. Gisela Panzer, zu. Der Verband hat daher beim Bundesgesundheitsminister die neuerliche Heraufsetzung des Grenzwertes auf den vierfachen Wert – 0,2 mg – beantragt. Auf die Frage, wie der Teeverband bei seinem Antrag auf diese Zahl gekommen sei, bekennt Frau Panzer freimütig: „Das hätte die Probleme, die eine unserer Mitgliedsfirmen hat, ausgeschlossen.“

Ob der Grenzwert entsprechend den Vorstellungen der in Not geratenen Handelsfirmen heraufgesetzt wird, das hängt davon ab, ob der Bundesgesundheitsminister grünes Licht gibt und dann der Bundesrat zustimmt. Das Bundesgesundheitsamt wird voraussichtlich keine Bedenken anmelden. Nach den vorliegenden Unterlagen hält es Tetradifon erst in größeren Mengen für schädlich, und Erbgutveränderungen wurden danach auch erst nach mehreren Generationen festgestellt.

Ein akutes Problem allerdings hat der Teehandel noch: Nach den zur Zeit geltenden Werten dürfte der gesamte mit Tetradifon belastete Tee nicht in den Ladenregalen stehen. Doch setzt die umtriebige Lobby darauf, daß sie im Ministerialrat mit Walter Töppner aus dem Seehofer-Ministerium einen Sachwalter ihrer Interessen hat. Mit Blick auf die anstehenden Grenzwerterhöhungen schreibt Gisela Panzer, „wären wir Ihnen sehr verbunden, wenn Sie in den Verhandlungen mit den Bundesländern auf diese Situation noch einmal deutlich hinwiesen, um für die Zwischenzeit unnötige Auseinandersetzungen mit den Lebensmittelüberwachungsbehörden über mögliche Überschreitungen des alten Wertes zu vermeiden“.

Ironie der Geschichte: In Indien, einem der wichtigsten Teeanbauländer der Welt, ist der Einsatz von Tetradifon inzwischen verboten. Die Rote Spinnmilbe, die mit dem Pestizid vernichtet wird, kann auch auf natürliche Weise, durch ein anderes Insekt, das die Spinnmilbe frißt, bekämpft werden. Ob dieser Aufwand nötig ist, dürften die indischen Teeanbauer nach den neuesten Nachrichten aus Deutschland jedoch bezweifeln.

Lediglich ein kleines Berliner Unternehmen, die Teekampagne an der Freien Universität, hatte frühzeitig auf die Pestizidbelastungen der letzten Tee-Ernte reagiert: Als es die überhöhten Tetradifon- Werte feststellte, hatte es den Kauf von 80 Tonnen Darjeeling-Tee zurückgewiesen. Seinen Kunden hatte die Teekampagne erklärt, daß es daher in diesem Jahr wesentlich weniger guten „Darjeeling First Flush“ gebe. Winfried Sträter