Das Schuldenkarussell dreht sich

■ Immer mehr Haushalte in der Bundesrepublik stehen vor dem finanziellen Ruin

Berlin (taz) – Zwischen drei bis vier Millionen Deutsche sind überschuldet, so die Schätzung des neuen Armutsberichts von DGB und Paritätischem Wohlfahrtsverband. Steigende Lebenshaltungskosten, Arbeitslosigkeit und eine einschmeichelnde Werbung der Kreditinstitute locken in die Schuldenfalle. Ein Trend, den auch der Bundesverband Inkasso beobachtet. Allein im vergangenen Jahr stieg das Auftragsvolumen der privaten Inkassobüros um ein Viertel an. Rund 40 Prozent der vier Milliarden Außenstände gingen auf das Konto von gewerblichen Schuldnern, der Rest sollte von privaten Haushalten eingetrieben werden. Lagen die Verbraucherkredite im Dezember 1990 noch bei 260 Milliarden Mark, so erreichten sie knapp drei Jahre später bereits die 339-Milliarden-Grenze, Wohnungsbaukredite nicht inbegriffen.

Allein in Berlin sind mehr als 100.000 Haushalte überschuldet, schätzt die Landesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung. Im Schnitt schleppen die Westberliner 50.000 Mark Schulden mit sich herum, die Ostberliner liegen mit 27.000 Mark zwar darunter, holen aber kontinuierlich auf. Es beginnt meist ganz harmlos: Zunächst wird der Überziehungskredit ausgeschöpft, es folgt ein Bankkredit, dann stellen sich Zahlungsschwierigkeiten ein. Nicht weit ist danach der Weg zum Kredithai, der Horrorzinsen verlangt. Der finanzielle Ruin ist nicht mehr weit. Etwa 200 Haushalten im Berliner Osten wird wöchentlich der Strom abgedreht. Ein Problem bei der Überschuldung sei, daß Leistungen der Sozialverwaltung nicht in ausreichendem Maße in Anspruch genommen würden, begründet Sozialsenatorin Ingrid Stahmer (SPD) die Misere. Allein im Bezirk Friedrichshain würden von 25.000 berechtigten Haushalten nur 8.000 ihr Wohngeld abrufen.

Im Osten mögen die steigenden Mieten erheblich zu der Schuldenmisere beitragen. Gleichermaßen in Ost wie West beliebt ist der Einkauf per Versandhauskatalog. „Jedoch einmal in den Schuldenstrudel geraten, können sich viele Familien nur noch durch den Katalog am Leben erhalten“, sagt Jens Sven Gärtner vom Berliner Arbeitskreis Neue Armut. Immer wieder kritisieren die Schuldnerberatungsstellen den mangelnden Verbraucherschutz. Verstöße gegen das Verbraucherkreditgesetz sind an der Tagesordnung.

Im Bundesjustizministerium werden erste Überlegungen angestellt, privaten Schuldnern ein Konkursverfahren zu ermöglichen, ähnlich dem für wirtschaftliche Betriebe. Danach könnte ein Gerichtsverfahren privaten Schuldnern die Restschuld erlassen. Außerdem würden sich die Verjährungsfristen ändern. Derzeit betragen sie 30 Jahre, die auf Antrag verlängert werden können. Für viele heißt das lebenslänglich Schuldner sein. roga