„Ich will wieder lachen können“

■ Die 17jährige Vedrana und der 23jährige Bojan aus Sarajevo fordern Europäisches Jugendparlament zum Nachdenken auf

Bojan spult die Tagesereignisse herunter wie eine Puppe, die beim Aufziehen überdreht wurde. Fast möchte man den bosnischen Delegierten des Europäischen Jugendparlaments ans Luftholen erinnern. „Vedrana muß gleich kommen. Ich habe sie beim Shopping aus den Augen verloren“, sagt er und setzt sich endlich. Ein schlechtes Gewissen, daß er seine Freundin irgendwo in Berlin allein zurückgelassen hat, scheint ihn nicht zu plagen. Kurz darauf rumort es. Vedrana trifft ein. Bevor Bojan etwas sagen kann, mosert ihn Vedrana an. Bojan grinst, und Vedranas gespielter Zorn verzieht sich schnell. Freudestrahlend schwenkt sie ihre Einkaufstüte hin und her. „Ich war zwei Jahre nicht mehr shopping“, sagt sie und packt ihre Errungenschaften aus.

Vor gut sieben Tagen hat Vedrana Sarajevo verlassen. Während rund 250 Delegierte aus 23 europäischen Ländern eine Woche lang das Abenteuer Parlamentarismus proben, ist Vedrana in einer ihr fremden Normalität angekommen. „Plötzlich bin ich in einer Stadt, in der kein Krieg tobt.“

Durch die Gespräche mit anderen Jugendlichen ist ihr schnell klar geworden, daß diese in einer ganz anderen Welt leben. Mitleid will sie von den Jugendlichen nicht, das verstärke nur die Unterschiede. In ihren Augen erleben die anderen den Krieg in Sarajevo als bloßes Medienspektakel, ohne wirklich darüber nachzudenken.

Auch der 23jährige Bojan hat sich ein kritisches Bild von den Jugendlichen in den europäischen Wohlstandsgesellschaften gemacht. Seit vier Monaten studiert er in Edinburgh Literatur und Philosophie. Bequem seien die Jugendlichen geworden durch den Komfort, den die Gesellschaft ihnen biete. „Aber wenn die Bequemlichkeit vom Denken abhält, ist sie Dummheit“, sagt er. An das Jugendparlament hat er hohe Erwartungen.

Für Vedrana und Bojan ist Sarajevo das Symbol für ein multikulturelles Europa. Beide sind sie Kinder aus „mixed marriages“ und noch heute sei Sarajevo eine Stadt, in der das Leben von verschiedenen Kulturen miteinander gelinge. Ein geeintes Europa müsse das Prinzip verteidigen, das ihre Zukunft sein soll. Vedrana und Bojan hoffen, daß das Jugendparlament eine Resolution in diesem Sinne verabschiedet. „Waffengewalt ist nicht der richtige Weg, um Konflikte zu lösen“, meint Bojan, „aber eine militärische Aggression muß gestoppt werden, auch wenn es in Bosnien kein Öl gibt.“

Als Vedrana von ihrer Mutter erzählt, versagt ihre Stimme. Es war ein Abschied auf unbestimmte Zeit. Vedrana will mit Bojan nach Edinburgh. Als Journalisten haben sich Bojan und Vedrana in Sarajevo auf einer Pressekonferenz kennengelernt. Über ihre Zukunft machen sich beide keine Illusionen. Für beide steht fest, daß sie zurück nach Sarajevo gehen. „Wenn der Krieg vorbei ist, müssen die Wunden von Sarajevo geheilt werden“, sagt Bojan. „Und dann will ich wieder aus ganzem Herzen lachen können.“ Vedrana stößt ihn mit dem Fuß an: „Du wirst wieder lachen!“ sagt sie. Ralf Knüfer