Keine Jagd mehr auf Informatiker

■ Die Entlassungswellen der Elektronikbranche schwappen über die Informatiker / Früher von der Industrie gelockt, nährt man sich jetzt von prekären Jobs / Arbeitschancen in der Versicherungsbranche?

Sie bringen als junge Nachwuchsleute frischen Wind in die Firma, sind verhältnismäßig billig und flexibel einsatzfähig: Wenn in Stoßzeiten Personal fehlt, genügt ein Telefonanruf, und sie kommen; wenn nichts zu tun ist, kann die Firma sie nach Hause schicken: Werkstudenten. Es gibt eine Menge Informatikstudenten, die sich bei Softwarehäusern Geld für ihr Studium verdienen. Werkstudent zu sein ist eine beinahe ideale Kombination: Man verdient gutes Geld und sammelt praktische Erfahrungen für den späteren Beruf.

Unangenehm wird der Status des Werkstudenten jedoch, wenn man gar nicht mehr studiert. Er werde wohl erst einmal weiter als Werkstudent sein Geld verdienen müssen, fürchtet ein Informatikabsolvent der Freien Universität Berlin. Er wird sich bei jenen Akademikern einreihen, die keinen angemessenen Job mehr finden und sich selbständig in prekären Arbeitsverhältnissen über Wasser zu halten versuchen.

Wer von denen, die zur Zeit auf die Zielgerade ihres Informatikstudiums einbiegen, hätte das bei der Immatrikulation von fünf, sechs Jahren geahnt? Es schien ein Privileg der Geistes- und Sozialwissenschaftler zu sein, nach dem Examen in eine unsichere berufliche Zukunft zu schauen. Informatiker wurden bis Ende der 80er Jahre nicht nur gesucht, sie wurden gejagt. Großflächige Plakate auf Litfaßsäulen im Umkreis Technischer Universitäten forderten die Diplomanden auf, bei der Firma Soundso zwecks Anstellung vorstellig zu werden. Vorbei: Bei den großen Arbeitgebern wie Siemens und IBM folgt eine Entlassungswelle nach der anderen, und kleine Softwarehäuser kämpfen ums Überleben.

Informatiker wurden nicht gesucht, sie wurden gejagt

Die Informatiker sind – neben den Medizinern – die jüngsten Opfer des immer unkalkulierbareren Arbeitsmarktes. Der technische Fortschritt verkürzt die Beschäftigungszyklen derart, daß kaum jemand bei Studienbeginn noch halbwegs sicher sagen kann, ob am Ende der Hochschulabschluß überhaupt noch gefragt sein wird.

60 Bewerbungen verschickte eine Absolventin der TU Berlin im vergangenen Jahr nach ihrem Informatikdiplom: Was ihr früher mindestens ebenso viele Stellenangebote eingebracht hätte, war nun vergebliche Müh. Im günstigsten Fall erhielt sie eine höfliche Ablehnung, im ungünstigsten Fall nicht einmal eine Antwort. Auf der Suche nach Auswegen haben die Informatiker mehr denn je die Universität wiederentdeckt.

Hochschullehrer wie Prof. Erhard Konrad von der TU Berlin machen seit 1991/92 die Erfahrung, daß befristete Stellen des wissenschaftlichen Mittelbaus wieder gefragt sind. In den Zeiten des Booms hatten die Universitäten größte Mühe, frei werdende Stellen qualifiziert zu besetzen. Auch mittelmäßige Absolventen lockte die Industrie mit viel höheren Gehältern, als die Universität zahlen konnte. Als jedoch im letzten Jahr solche Stellen neu zu besetzen waren, bewarben sich jeweils über 20 KandidatInnen. Erstaunt registrierte Professor Konrad, daß sich auch Informatiker bewarben, die bereits Industriekarrieren hinter sich hatten.

Informatiker mit Doktortitel haben es auf dem Arbeitsmarkt noch schwerer als Diplominformatiker. Sie sind teurer, und der Bedarf an hochqualifizierter Forschung ist gesunken, seitdem die Hoffnung auf eine Revolution in der Datenverarbeitung wie eine Seifenblase zerplatzt ist. Die Vision von der künstlichen Intelligenz hatte nach dem Durchbruch der Mikroelektronik in den 80er Jahren den großen Forschungsboom ausgelöst. Da die sogenannten Expertensysteme einen riesigen Markt und damit exorbitante Gewinne versprachen, saugten die Elektronikunternehmen aus Angst, von der Konkurrenz abgehängt zu werden, das gesamte Forscherpotential auf, das die Universitäten heranzogen. Ende der 80er Jahre dämmerte der Industrie jedoch, daß die informationstechnologische Revolution vorerst ausbleiben würde. Der Abbau von Forschungskapazitäten war die logische Konsequenz. Die Rezession verschärfte ab 1992 diesen Prozeß.

Was bringt der Boom der Telekommunikation?

Das Arbeitsamt macht nicht allein die Rezession und die Sättigung auf dem Datenverarbeitungsmarkt für die Beschäftigungskrise verantwortlich, sondern auch die Zahl der Mathematik- und Informatikstudenten. So ist die Zahl der Diplom-Mathematiker in den 80er Jahren deutlich schneller gestiegen als die Zahl der Akademiker insgesamt. Einzelne Branchen, etwa die Versicherungen, bieten nach dem Bericht des Arbeitsamtes allerdings immer noch relativ gute Karrierechancen. Überhaupt stehen die Informatiker mit ihren Anstellungsschwierigkeiten unter den Akademikern trotz allem noch vergleichsweise gut da. Wer keinen angemessenen Job findet, hat immerhin noch die Möglichkeit, unterhalb der Hochschulqualifikation einzusteigen. Nachdem sich Firmen und Institutionen mit Computern eingedeckt haben, benötigen sie nun Fachleute, die ihnen die Systeme optimal einrichten. Dazu bedarf es keines Informatikstudiums – zur Not läßt sich damit aber Geld verdienen. Informatiker an den Universitäten warnen jedoch: Wer sich auf so etwas einlasse, laufe Gefahr, dort hängenzubleiben.

Die Krise bei den Informatikern ist noch jung. Seit 1992 bekommen die Hochschulabsolventen sie zu spüren. Ob sie – etwa durch den bevorstehenden Boom im Bereich Telekommunikation – bald wieder vergessen sein wird, steht noch in den Sternen. Die Abiturienten allerdings haben auf die Hiobsbotschaften bereits reagiert: Die Immatrikulationszahlen bei den Informatikern sind rückläufig. Bundesweit schreiben sich weniger Studierende in Informatik ein, als Plätze vorhanden sind. Winfried Sträter