Aussöhnung gelungen, Zeitung am Ende

1996 könnte die „Allgemeine jüdische Wochenzeitung“ ihr 50jähriges Jubiläum begehen / Doch das chronisch defizitäre Blatt wird wahrscheinlich vom Zentralrat eingestellt  ■ Aus Berlin Boike Jacobs

An ihrem Anfang standen die großen moralischen und politischen Zielsetzungen, an ihrem Ende stehen nurmehr kleinliche Streitereien und hilflose Bemühungen, das drohende Fiasko doch noch abzuwehren. In den vergangenen Jahrzehnten verstand sich die Allgemeine jüdische Wochenzeitung, kurz Allgemeine genannt, sowohl als Sprachrohr für die wiedererstandenen jüdischen Gemeinden wie auch als Brücke zu Nichtjuden im Nachkriegsdeutschland. Doch am 27. Februar will der Zentralrat der Juden in Deutschland nun in Berlin darüber beraten, ob diese Zeitung in Kürze gänzlich eingestellt werden soll.

Wer die Geschichte der Zeitung kennt, der kann sich über diese Entwicklung kaum wundern. Die Allgemeine, die am 26. Februar 1946 als Jüdisches Gemeindeblatt in der britischen Besatzungszone entstand, hat seit ihrem Erscheinen begeisterte Anhänger ebenso wie heftige Gegner gefunden. Denn als die Zeitung am 15. November 1946 von dem Publizisten Karl Marx übernommen wurde und 1949 den Titel Jüdisches Gemeindeblatt endgültig abstreifte, war damit mehr vollzogen als ein reiner Namens- und Personalwechsel: Die Zeitung wurde zu einem Politikum. Was Karl Marx in den folgenden Jahren in vielfältiger Weise praktizierte, das war der sogenannte Brückenschlag zwischen den in Deutschland lebenden Juden und ihren nichtjüdischen Nachbarn. Zu denen, die den jüdischen Herausgeber bei dieser Aufgabe nachdrücklich unterstützten, gehörten bedeutende Nachkriegspolitiker wie Kurt Schumacher und Karl Arnold, vor allem jedoch Theodor Heuss und Konrad Adenauer.

Eine Zeitung auch für die Emigranten

Und auch den Industriellen war damals daran gelegen, auf gute Kontakte zur jüdischen Bevölkerung verweisen zu können, zumal die Zeitung in Israel, in Südamerika und in den USA von vielen deutsch-jüdischen Emigranten gelesen wurde. Gerade vor dem Ausland schien es opportun, durch regelmäßige Anzeigen in der Allgemeinen Sympathien für die Juden zu bekunden. Folgerichtig stellte auch die nichtjüdische Leserschaft von Anfang an mehr als die Hälfte der Abonnenten der Allgemeinen, und ab 1951 zählten auch Nichtjuden zum Redaktionsstab. Doch was auf den ersten Blick als Vorteil erscheint, war zugleich das Dauerproblem dieser Zeitung. Da Nichtjuden bis in die Regierungskreise so aufmerksame Leser waren und ihre Reaktionen auf die in der Bundesrepublik lebenden Juden auch immer wieder davon abhängig machten, wie sich diese selbst in ihrer Zeitung darstellten, konnten innerjüdische Probleme nicht länger offen behandelt werden.

Die schon vor 1933 mehr oder minder stark assimilierten deutschen Juden empfanden diese Konstellation nicht unbedingt als Problem. Um so kritischer reagierte jedoch die in Osteuropa gebürtigen Juden. Nur weil beide Gruppen in den ersten beiden Nachkriegsjahrzehnten mit den gleichen Existenzproblemen zu kämpfen hatten, wurde eine Zeitlang die Tatsache verschleiert.

Als Karl Marx 1966 starb, war bereits das Ende der für die Zeitung bedeutendsten Ära angebrochen. Nicht zuletzt durch die publizistische Arbeit der Allgemeinen war der Normalisierungsprozeß zwischen Juden und Nichtjuden mehr oder weniger gelungen, das große Gesetzeswerk der Wiedergutmachung abgeschlossen und der offizielle Kontakt zu Israel geknüpft. Die Probleme, die alle im Nachkriegsdeutschland lebenden Juden miteinander verbunden hatten, waren damit gelöst.

Aber auch die Spannungen zwischen Juden und Nichtjuden waren weitgehend aufgehoben. Weder Politiker noch Wirtschaftskreise hatten daher noch ein besonderes Interesse daran, in dem auflagenmäßig kleinen jüdischen Blatt mit Interviews oder Inseraten vertreten zu sein. Als Anfang der siebziger Jahre die Bundesregierung auch noch ihre Subventionen strich, konnte nur noch der Verkauf an den Zentralrat die Zeitung vor dem Konkurs retten. Aber finanziell hat sich die Allgemeine nie wieder erholen können.

Inzwischen war die Generation der deutschen Juden, die das jüdische Gemeindeleben ebenso wie die Zeitung 25 Jahre lang geprägt hatte, abgetreten und hatte die Führung der meisten jüdischen Gemeinden den Juden aus Osteuropa überlassen müssen. Diesen war die enge Verbindung der Zeitung zu Bonner Politikern immer suspekt gewesen, und sie bekamen nun bei ihrer Kritik an der Allgemeinen unerwartete Schützenhilfe von der jüdischen Nachkriegsgeneration. In den siebziger Jahren forderten junge Juden nachdrücklich, die Zeitug solle sich nicht länger in Bonn anbiedern, sondern endlich eine freimütige Debatte über innerjüdische Probleme führen. Doch statt die öffentliche Diskussion mit den eigenen Kindern zu suchen, banden die Herausgeber im Zentralrat den Jugendlichen einen Maulkorb um: Ihre Ansichten, Forderungen und Probleme fanden in der Allgemeinen kaum mehr Platz.

1,5 Millionen Mark Subventionen im Jahr

Als Folge dieser unüberbrückbaren Differenzen gab es nach dem Ausscheiden des jüdischen Chefredakteurs Hermann Lewy im Jahre 1979 bis in die jüngste Zeit in der Redaktion der Allgemeinen keinen jüdischen Journalisten mehr. Am meisten jedoch litt die Arbeit der Redaktion unter dem ständigen Machtkampf zwischen den Herausgebern der Allgemeinen. Die jahrelangen Auseinandersetzungen zwischen Werner Nachmann und Heinz Galinski wirkten sich lähmend aus und verringerten das Interesse an der Zeitung allgemein. Nach Werner Nachmanns Tod wurde die Redaktion von Heinz Galinski zwar komplett ausgewechselt und mit jüngeren Juden besetzt, aber zugleich brachte sich die Zeitung mit Fehlinvestitionen endgültig ins Abseits. Der Zentralrat ist mittlerweile nicht mehr bereit, das Blatt weiterhin mit rund eineinhalb Millionen Mark pro Jahr zu subventionieren. Die Chancen sind gering, daß die Allgemeine jüdische Wochenzeitug 1996 noch ihr 50jähriges Bestehen wird feiern können.