Das Ultimatum ist abgelaufen

■ Clinton macht Luftangriffe von „den Tatsachen am Boden“ um Sarajevo abhängig

Genf (taz) – Knapp 23 Monate nach dem ersten serbischen Granatenbeschuß auf Sarajevo stand die bosnische Hauptstadt gestern kurz vor dem zumindest vorläufigen Ende ihrer unmittelbaren Belagerung. Andere von der bosnischen Regierungsarmee verteidigte Städte des Landes lagen weiterhin unter massiven Angriffen serbischer Truppen. Bei einem Treffen des bosnischen Premierministers Haris Silajdžić mit Kroatiens Außenminister Mate Granić in Frankfurt/Main gab es neue Anzeichen für eine Wiederannäherung zwischen Kroaten und Muslimen.

Bis zum frühen Sonntagnachmittag hatten die serbischen Belagerungstruppen in Sarajevo nach Informationen des bosnischen Präsidenten Alija Izetbegović knapp 90 Prozent ihrer Geschütze entweder um mehr als 20 Kilometer abgezogen oder der Kontrolle der Unprofor-Soldaten unterstellt. Offiziell unterlagen Informationen über den Waffenabzug auch gestern der am Mittwoch vom britischen Unprofor- Kommandanten in Bosnien, Rose, verordneten Geheimhaltung.

Der bosnische Präsident kritisierte die Kontrollpraktiken der Unprofor als unzureichend und forderte eine neutrale Kommission aus UNO und Nato. Schwere Waffen, die sich nach Ablauf der von der Nato gesetzten Frist heute morgen um 1 Uhr mitteleuropäischer Zeit noch im Besitz serbischer Truppen innerhalb der 20-Kilometer-Zone befänden, müßten mit Luftangriffen belegt werden. Yasushi Akashi äußerte die Einschätzung, daß sich auch nach Ablauf der Frist noch einige schwere Waffen in der Verfügung serbischer Truppen befinden könnten. Selbst dann aber seien Luftangriffe „unnötig“, erklärte der russische Vizeaußenminister und Bosnien-Beauftragte seiner Regierung, Tschurkin, der gestern mit den ersten der angekündigten 400 russischen Unprofor- Soldaten in Sarajevo eintraf. Sprecher der Nato hingegen bestanden weiterhin auf einer „hundertprozentigen Erfüllung“ ihrer Forderung und hielten die Drohung mit Luftangriffen aufrecht. US-Präsident Clinton bekräftigte Samstag das Ultimatum: „Unsere Handlungen werden sich an den Tatsachen am Boden orientieren.“ In New York wurde für letzte Nacht eine Sondersitzung des UN-Sicherheitsrates angesetzt. Zuvor findet ein Treffen der Botschafter der sieben Staaten, die Unprofor-Soldaten in Bosnien stationiert haben, statt.

Neben mehreren Orten in West- und Nordbosnien lagen auch die vom Sicherheitsrat im Mai 93 gemeinsam mit Sarajevo zu „Sicherheitszonen“ erklärten Städte Bihać und Tuzla während des ganzen Wochenendes unter schwerem serbischem Artilleriebeschuß.

Nach ihren Frankfurter Gesprächen sprachen Bosniens Premier Silajdžić und Kroatiens Außenminister Granić übereinstimmend von Fortschritten. Informell verlautete, beide Seiten seien sich nähergekommen in der Frage eines Waffenstillstandes zwischen der bosnischen Regierungsarmee und kroatischen Truppen in Zentralbosnien sowie in der Region Mostar. Auch bezüglich einer politischen Lösung habe es Fortschritte auf Basis der Vorschläge gegeben, die der Bosnien-Beauftragte der Clinton-Administration, Redman, letzte Woche unterbreitet hatte (taz vom 16.2.). Andreas Zumach

Siehe Reportage aus Sarajevo Seite 8