Verlorener Kern

■ H.W. Henzes „ Die Bassariden“ in der Hamburger Staatsoper: nur eine Wiederholung der antiken Tragödie

Die gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse hinterlassen auch in der Kunst ihren Abdruck: die Möglichkeiten der künstlerischen Produktivkräfte sind heute durch bloße Ökonomik beschnitten, durch die Lohnarbeit und das Anstellungsverhältnis der Ausführenden. Davon sind vor allem die Orchestermusik und Oper betroffen. Unter den zeitgenössischen Komponisten finden sich indes nur wenige, die wie Hans Werner Henze (*1926) sich dieser sozialen Dimension der Kunst bewußt sind.

Die 1965 entstandene Oper „Die Bassariden“, die Christine Mielitz nun in der Neufassung von 1992 für die Hamburger Staatsoper inszenierte, ist durchzogen von dem Bewußtsein, daß kein Werk mehr ungebrochen komponiert werden kann. Henze deutet eine mögliche Aufhebung der Arbeitsteilung im Orchester an, indem er etwa durch solistische Aufgaben die Musiker in den Aufbau der kompositorischen Gesamtstruktur eingreifen läßt. Es bleibt notwendigerweise jedoch nur bei der Möglichkeit. Denn: jeder Versuch, heute schon gegen den Kulturbetrieb menschliche Bedingungen der künstlerischen Produktion einzurichten, ist zum Scheitern verurteilt, solange nicht insgesamt die Produktionsverhältnisse geändert sind.

Dieses Scheitern am künstlerischen Material ist das verborgene Thema der „Bassariden“, einer Abarbeitung an der Krise der Oper. Durch die Vielheit stilistischer Zitate, inhaltlicher Ungebundenheit und durch die Dekonstruktion der Handlungs- und Erzählstruktur mag die Oper als erste postmoderne gelten, – sie reagiert zumindest auf die Gefahr, die der Oper insgesamt durch Kino und Fernsehen droht. Mit der heutigen Inszenierung wird diese Drohung jedoch Ernst: ein Brimborium von Showeffekten, eine Inszenierung in Hinblick auf die kommende Fernsehaufzeichnung. Das manifestiert sich auch in der Ausstattung (Gottfried Pilz), die vom „Terminator“ adaptiert zu sein scheint und zumindest einen hoffnungslosen Rückgriff auf die imperiale Macht der Wagneroper darstellt.

Verloren ging der Kern der Sache und die Oper wurde zu dem, was sie eben nicht sein wollte – zu einer Wiederholung der antiken Tragödie. Zwar bedient Henze sich der „Bakchen“ des Tragikers Euripides, gleichwohl wird die antike Vorlage in der Librettobearbeitung von Wystan H. Auden und Chester Kallmann verfremdet und ihre zeitliche Fixierung auf die Antike aufgehoben. Kadmos (Franz Hawlata) hat die Herrschaft an seinen Enkel Pentheus (Andreas Schmidt) weitergereicht. Dieser fürchtet seine Macht an den Gott Dionysos (Eberhard Büchner) zu verlieren: jener hat nämlich schon das Volk durch Rausch und Tanz in seinen Bann gezogen. Pentheus gelingt es einen geheimnisvollen Fremden zu fangen, unwissend, daß es sich um Dionysos handelt. Als er ihn peinigen läßt, erschüttert ein Erdbeben die Stadt Theben. Der Spieß wird umgedreht: Pentheus wird von der durch Dionysos aufgebrachten Menge gejagt und schließlich von Agaue (Renate Behle) getötet – die erst zu spät ihren Sohn erkennt.

Es ist wahrscheinlich die gefährliche Nähe zur blinden Mythologie und auch die Inspiration Henzes durch tiefenpsychologischen Unsinn, was das Programm verletzt – nämlich die Aufklärung von den Mächten des Mythos. Ihre historische Wahrheit hat die Oper dort, wo blinder Gehorsam Politik ward; das trifft nicht nur die totalitären Regimes dieses Jahrhunderts, sondern auch den Massenbetrug der Demokratien (man darf nicht vergessen, daß 1965 die größte Demokratie gerade dabei war, das vietnamesische Volk auszurotten). Roger Behrens

Aufführungen: 24.2., 3.3., 8.3 & 11.3. um 19.30 Uhr; 27.2. um 19 Uhr, Staatsoper