Arbeitskampf-Regeln

■ Bei der Streikplanung überläßt die IG Metall nichts dem Zufall

Berlin (taz) – Streik hat nichts Chaotisches. Schon gar nicht, wenn eine kampferprobte Industriegewerkschaft wie die IG Metall ihn zelebriert. Vom Warnstreik über die Urabstimmung bis zum klassischen Ausstand basiert jeder Schritt auf einem komplexen Regelwerk.

Als der Vorstand der IG Metall gestern über eine Urabstimmung entschieden hat, hat er auch bestimmt, in welchem der 14 West- Tarifbezirke möglicherweise gestreikt wird. Der nächste Schritt auf dem Weg zum Arbeitskampf: Bei der Urabstimmung müssen mindestens 75 Prozent der IG-Metall-Mitglieder aus dem auserkorenen Tarifbezirk für einen Ausstand votieren.

Ist der Streik von der Basis abgesegnet, ist der Bundesvorstand wieder am Zuge. Die Frankfurter Zentrale entscheidet darüber, in welchen Betrieben und Branchen gestreikt wird. Diesem Vorgang kommt besonders beim laufenden Tarifkonflikt einige Bedeutung zu. Die IG Metall hat bereits angekündigt, keinesfalls wirtschaftlich angeschlagene Betriebe in den Ruin streiken zu wollen.

Haben die Streikposten vor den Werktoren Position bezogen, werden voraussichtlich die Arbeitgeber zurückschlagen. Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall hat seine Mitglieder bereits zu Aussperrungen aufgerufen. Diese sind in einigen europäischen Ländern verboten, in Deutschland aber ein gängiges Druckmittel: So kamen etwa beim letzten Streik der West- Metaller 1984 auf nur 57.500 Streikende in zwei Tarifbezirken rund 550.000 Ausgesperrte im ganzen Bundesgebiet. Am Anfang steht die sogenannte heiße Aussperrung: Die Arbeitgeber im umkämpften Tarifgebiet verweigern den Beschäftigten den Zugang zu ihren Arbeitsplätzen. Das Ausmaß der heißen Aussperrungen muß sich dabei an der Zahl der Streikenden orientieren. Die Betroffenen kommen wie auch die Streikenden in den Genuß der Streikkasse, sofern sie Gewerkschaftsmitglieder sind.

Wesentlich schlechtere Karten haben die Opfer der kalten Aussperrung. Diese „arbeitskampfbedingte Produktionsstörung“, so die Arbeitgeber, trifft Beschäftigte im ganzen Bundesgebiet, wenn tatsächliche oder vermeintliche Lieferschwierigkeiten die Produktion zum Erliegen bringen. Besonders in der Automobilbranche mit ihrer „Just-in-time-Produktion“ spielt das nahtlose Miteinander mit den Zulieferern eine große Rolle. Die Lagerhaltung ist so gering, daß Automobilgiganten wie Mercedes oder Opel bei einem Lieferstopp innerhalb von Tagen lahmgelegt sind.

Die Situation der kalt Ausgesperrten ist besonders schwierig. Die IG Metall sieht sich nicht in der Lage, die Betroffenen aus der Streikkasse finanziell zu unterstützen. Dank einer Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes, mit der die Regierung Kohl 1986 Schlagzeilen machte, erhalten die kalt Ausgesperrten aber auch kein Kurzarbeitergeld mehr. Silvia Schütt