Gekennzeichnet von erschütternder Ideenarmut

■ Mit ihrem Wahlprogramm „Für Wachstum und Beschäftigung“ setzt die CDU auf die bekannte Rezeptur: die Stärkung der Wachstumskräfte der Wirtschaft

Was tut eine Partei, die sich in der Wählergunst im freien Fall befindet? Richtig, sie versucht an Profil zu gewinnen. Eigentlich wollte Helmut Kohl mit neuen Themen in den Wahlkampf ziehen, aber kaum ist er angetreten, holt ihn sein eigenes Erbe ein. Die schwerste Wirtschaftskrise der Nachkriegsgeschichte, die höchste Arbeitslosenzahl seit Bestehen der BRD, eine ausufernde Verschuldung – angesichts dieser brennenden Probleme dämmert es auch den Unions-Gewaltigen, daß mit Blauhelmdebatten und Lauschangriffen kaum noch ein Blumentopf zu gewinnen ist. Also besinnt man sich wieder auf die alten Stärken der Volkspartei: die Wirtschafts- und Finanzpolitik. Wie schon vor den siegreichen Wahlen 1987 und 1990 sollen erst einmal die Wachstumskräfte der Wirtschaft gestärkt werden – so jedenfalls sieht es das am späten Montag abend verabschiedete Programm „Für Wachstum und Beschäftigung“ vor.

Doch die von den Konservativen geführte Regierung, einst Garant für einen erfolgreichen Kampf gegen Arbeitslosigkeit, Rezession, Inflation und Staatsverschuldung, ist längst nur noch Schatten ihrer selbst. Um wieder in die Offensive zu gelangen, werde die CDU die Standortdebatte zum Wahlkampfthema Nummer eins machen, kündigte Helmut Kohl an. Ohne Leistung kein Wachstum, so die einfache Losung. Um dem finanziell in die Klemme geratenen Staat wieder Spielraum zu verschaffen, soll die Staatsquote, also der Staatsanteil am Sozialprodukt, bis ins Jahr 2000 von heute 52 auf 46 Prozent heruntergefahren werden – also auf den Stand vor der Vereinigung. Daß dies nur über einen weiteren Abbau staatlicher Aufgaben und Leistungen gelingen kann, ist dem Kanzler längst klar. CDU-Präsidiumsmitglied Christa Thoben, Vorsitzende des CDU-Wirtschaftsfachausschusses und zusammen mit Umweltminister Klaus Töpfer Autorin des Wirtschaftsprogramms, ist da viel pragmatischer. Was fehlt, seien technische Neuerungen, kaufmännischer Sachverstand, unternehmerischer Wagemut. „Je schneller wir umdenken“, so die forsche IHK-Präsidentin aus Münster, „desto schneller geht es aufwärts.“

Beim Umdenken freilich hat die CDU vieles nachzuholen. Das zeigt die parteiinterne Diskussion um das neue Parteiprogramm, in dem das Bekenntnis zur sozialen Marktwirtschaft um eine ökologische Dimension erweitert werden soll. Als Grundlage des neuen ordnungspolitischen Credos gilt das Verursacher- und Vorsorgeprinzip: Jeder soll künftig die Umweltkosten tragen, die aus seinem Verhalten als Produzent oder Konsument entstehen. Das klingt radikaler, als es in Wirklichkeit ist, denn damit wird noch keines der ökologischen Ordnungselemente Klaus Töpfers – wie Energiesteuer, Umweltabgaben oder Haftungsregelungen – beschlossen.

Wie kräftig den Autoren der Gegenwind ins Gesicht bläst, machen schon die ersten beiden Änderungsanträge deutlich, gestellt von den ansonsten selten auf einer Linie liegenden Sozialausschüssen und der Mittelstandsvereinigung. Beide wollen das Wörtchen „ökologisch“ schnell wieder streichen. Die Arbeitnehmer in der Union fürchten, daß soziale Aspekte damit noch mehr unter die Räder kommen. Die Unternehmer sehen vor allem weitere finanzielle Belastungen auf sich zukommen, die sie mit Verweis auf die Wirtschaftslage strikt ablehnen. Der Großteil der Delegierten will in der ökologischen Dimension ohnehin nur die christliche Verantwortung vor der Schöpfung erkennen – ohne Konsequenzen für Produktion, Distribution und Konsum.

Ob in der Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik die Heilung gelingt, ist ebenfalls mehr als fraglich. Was das 29 Seiten starke Wahlprogramm anbietet, ist von erschütternder Ideenarmut und analytischer Dürftigkeit. Präsentiert wird ein Puzzle aus Kleinteilen: mehr Forschung und technologische Innovation, ein wenig Privatisierung bei den öffentlichen Leistungen, Abschaffung des Rabattgesetzes, gelockerte Ladenschlußzeiten, die Förderung von Existenzgründungen. Dahinter suchen alle Parteiflügel weiter nach ihren Rezepten: Kohl will die Sozialleistungen zurechtstutzen, Thoben und Töpfer der Exportnation Germany eine neue technologische Großoffensive verordnen, mit deren Hilfe verlorengegangenes Terrain auf dem Weltmarkt zurückerobert werden soll. Der notorische Quertreiber Kurt Biedenkopf wirbt für eine Grundsicherung, um die überfrachteten Sozialsysteme zu entlasten.

Beim Kampf gegen die Arbeitslosigkeit wird es noch schwieriger. Selbst mit flexibleren Arbeitszeiten, stärker differenzierten Löhnen, mehr Mobilität der Arbeitslosen, auch Beschäftigungen unterhalb ihrer Qualifikation zu akzeptieren, privaten Arbeitsvermittlern oder steuerlich absetzbaren Haushalts- und Erziehungshilfen läßt sich das Arbeitslosenheer kaum reduzieren. Deshalb denken schon andere Unions-Christen über die nächsten Schritte nach, die noch gar nicht in dem Wachstums- und Beschäftigungspaket stehen – etwa Lohnsubventionen für einen zweiten Arbeitsmarkt, eine Teilzeitoffensive im öffentlichen Dienst oder gar die von Kohl jahrelang als „töricht“ verspotteten Verkürzungen der Wochenarbeitszeit ohne Lohnausgleich.

Selten hat eine Politik ihre Ziele so verfehlt wie die Kohlsche Variante der Angebotsökonomie. Statt mit Anreizen für Kapitalgeber und von Regulierungen befreiten Märkten der Wachstumsschwäche gegenzusteuern, hat sie die Wettbewerbsfähigkeit eher geschwächt und zu noch weniger Wachstum und noch mehr Arbeitslosen geführt. Populistisch jedoch ist die Angebotspolitik kaum zu schlagen. „Unsere Lohn- und Wohlstandsstruktur ist wie ein Zirkuszelt“, bekennt Christa Thoben. Wenn die hohen Masten nicht mehr da sind, wird's bedrohlich. Die Unions-Christen aber wirken wie Artisten unter der Zirkuskuppel – ratlos! Erwin Single, Hamburg