Keine Zeit für Bestechlichkeit

■ Klaus Bötig, Bremer Reisejournalist, über die Anfechtungen des großen Geldes in der Tourismusbranche

Gut 40 Bücher gehen auf sein Konto, die meisten über Griechenland; er schreibt für Merian, Geo, die Zeit, den Stern und zahllose andere Publikationen, kurzum: Der Bremer Klaus Bötig gehört zu den ziemlich gefragten Reisejournalisten. Die taz sprach mit ihm über ein ziemlich problematisches Gewerbe.

Sie üben ja einen der letzten Traumberufe aus. Oder wollen Sie mir widersprechen?

Na, Traumberuf, ich weiß nicht. Ich hab hier meinen Plan, da ist schon fürs ganze Jahr im voraus festgelegt, was ich bis wann geschafft haben muß. Da muß man sich schon morgens hinsetzen und zusehen, daß man bis abends durch ist.

Was ist Ihr Pensum, wenn Sie schreiben?

Das sind schon durchschnittlich zehn Schreibmaschinenseiten am Tag, wenn sich's um so einen Schmalspurführer aus der „Marco Polo“-Reihe handelt. Für einen DuMont-Band dürfen's auch mal nur zwei oder drei sein. Auf diese Weise komme ich auf vier bis fünf Bücher im Jahr. Sie müssen aber bedenken, daß ich mich auch noch um die Aktualisierung der alten kümmern muß. So alle zwei Jahre sollte ich da an den Schauplätzen schon auftauchen.

Wie lang sind Sie denn unterwegs im Jahr?

In diesem Jahr werden es 25 Wochen sein. Zuletzt war ich grad wieder zwei Wochen auf dem Peloponnes, immer mit genauem Programm, wann ich wo sein will, wie lange ich wo bleiben will. Wenn's hell wird, stehe ich auf, dann klappere ich alles ab, mit Mietwagen, Bus oder auch mal zu Fuß. Und abends sehe ich zu, daß ich in einem Ort bin, über den ich ein bißchen mehr schreiben muß. Da schau ich mir dann die Hotels an, hinterher kommt dann noch der Kneipentest...also vor Mitternacht komme ich selten ins Bett.

Von Urlaubsreise hat das wenig.

Klar. Das liegt natürlich auch ein bißchen daran, daß ich Familie habe. Da bemühe ich mich schon, möglichst viel in möglichst kurzer Zeit zu schaffen. Also baden tu ich eigentlich nie.

Man hört aus dem Metier aber auch ganz andere Geschichten.

Naja, es gibt natürlich Kollegen, die fahren das ganze Jahr über nur auf Einladung rum. Da kommt dann ein Hotel, eine Fluggesellschaft, ein Veranstalter für die ganzen Kosten auf, und das ergibt dann natürlich ein ganz anderes Leben: zwei Wochen Kreuzfahrt auf der „Europa“, dann mal eben drei Tage für einen Bericht, dann wieder zwei Wochen auf Patagonien, danach ein kleiner Bericht - das genügt. Die müssen ja im Grunde auch gar kein Geld verdienen, weil sie kaum Ausgaben haben. Die halten sich irgendwo eine kleine Wohnung, und den Rest des Lebens verbringen sie auf Spesen.

Das kriegt man derart also ohne größere Unterbrechungen rum?

Ja. Die Veranstalter machen solche Pressereisen in der Regel mehrmals im Jahr. Da ist dann alles umsonst, vom Mietwagen bis zu den Getränken. Manche Kollegen gehen soweit, daß sie auch noch ihre Zigaretten bezahlt haben wollen. Das ist dann nur noch peinlich.

Wie hoch schätzen Sie im Tageszeitungsgeschäft den Anteil der Reiseartikel, der auf auf solche Weise zustande kommt?

Wenn man das dazunimmt, was die Journalisten sich selber erbetteln, dann dürften das 90 Prozent sein.

Was meinen Sie mit „erbetteln“?

Nun, Sie müßten wissen, was auf der Tourismus-Börse in Berlin jedes Jahr los ist. Da ziehen die Kollegen von Stand zu Stand und fragen, ob sie nicht eine Reise umsonst kriegen könnten. Das tun sie, bis ihr Kalender voll ist.

Gibt es überhaupt noch Zeitungen, die ihren Leuten die Reisen selber bezahlen?

Nein, die gibt es wohl nicht. Das zahlen alles die Veranstalter. Sowas hat natürlich Folgen: Die Leute kennen ja nichts, die kommen nirgends hin außer dahin, wo man sie haben will, die kriegen nicht mal eine Vorstellung von den Kosten. Dann empfehlen sie irgendwelche schicken Hotels, die sich eine vierköpfige Familie überhaupt nicht leisten könnte.

Und wie ist es mit Ihnen? Begegnen Ihnen nicht auch gewisse Anfechtungen? Es geht ja um viel Geld.

Schon, aber bei mir hält sich's in Grenzen. Einmal im Jahr kann's schon vorkommen, daß ich eine Einladung annehme, und die meisten Flüge krieg ich natürlich wegen meiner Beziehungen zu Reisebüros um die Hälfte. Aber das war's dann auch. Und in Griechenland selber, na gut, wenn ich mich da überhaupt mal zu erkennen gebe, dann lädt man mich schon auch zum Essen ein und solche Sachen, aber sehen Sie: Wenn ich das doch mal annehme, hinke ich schon meinem Zeitplan wieder hinterher und schaffe mein Pensum nicht. Im Grunde hab ich gar keine Zeit für Bestechlichkeit.

Diese Unabhängigkeit kann man sich wohl nur erlauben, wenn man Bücher schreibt.

Ja. Aber auch da macht's letztlich nur die Menge.

Was kriegen Sie denn so im Schnitt?

Also typischerweise kostet so ein Buch im Laden 20 Mark, und ich bekomme eine Mark pro verkauftem Exemplar. Nehmen Sie dann noch eine Auflage von 8.000 im Jahr, dann haben Sie meinen Verdienst. Davon muß ich aber auch noch meine Reisekosten bestreiten. Das heißt: Wer nur ein Buch macht, verdient gerade soviel, wie es kostet, dieses Buch dann aktuell zu halten. Man muß also viele Bücher machen, man muß sehen, daß nebenher Beiträge für Zeitschriften abfallen, und das geht alles nur, wenn man sich auf ein Gebiet beschränkt, so wie ich das mit Griechenland handhabe. Das hat nun überhaupt nichts damit zu tun, daß ich ein großer Griechenland-Fan wäre. Es ist nur praktisch: Ich zum Beispiel hab allein über die griechische Inselwelt 25 Bücher geschrieben. Da fängt man natürlich nicht jedesmal von vorn an, und auf jeder Recherche-Reise hab ich von vorneherein auch die andern Bücher mit im Blick, und wenn ich da etwa auf dem Rückweg in Athen vorbeikomme, kann ich auch gleich meinen Athen-Führer wieder ein bißchen aktualisieren.

Sie müssen also über Jahr und Tag die Augen überall haben. Kann einem das nicht auch mächtig auf den Geist gehen?

Naja, im Winter ist's manchmal hart. Da sind dann die Griechen unter sich, und man hockt da schon oft allein herum. Im Sommer dagegen, wenn ich mal andere Touristen kennenlerne, da scheitert's daran, daß die Urlaub haben und ich weiter muß. Geisttötend finde ich auch, wenn ich etwa für Athen diese unvermeidlichen Einkaufstips zusammenstellen muß. Da renne ich dann von Boutique zu Boutique und verfluche meinen Beruf.

Ist der Vorgang des Reisens überhaupt noch in irgendeiner Weise aufregend für Sie?

Aufregend nicht gerade, und außer einer gerade noch geglückten Notlandung hatte ich auch schon lang kein Abenteuer mehr, aber wenn ich im Spätherbst dann mal sechs Wochen zuhause sitze, dann fehlt mir schon auch wieder was. Das Reisen einfach ein Teil meines Lebens geworden.

Könnten Sie sich vorstellen, daß Sie's nochmal mit einem ganz neuen Gebiet aufnehmen?

Nee, auf keinen Fall. Das könnte ich mir nicht leisten. Aber ich sichere mich schon ein wenig ab für den Fall, daß mit Griechenland das passiert, was mit Jugoslawien passiert ist. Das würde mich ganz schön in Schwierigkeiten bringen. Deshalb hab ich grad zwei Bücher gemacht über die Ostfriesischen und die Kanalinseln, ein paar Bücher über Malta und die Azoren hab ich auch noch laufen für alle Fälle.

Wo können Sie denn dann überhaupt noch hin, um wirklich mal Urlaub zu machen?

So richtigen Urlaub habe ich eigentlich immer nur eine Woche im Winter, und zwar in einem Ferienhaus in Dänemark. Da ist es so todlangweilig, da hab ich endlich nur noch meine Familie.

Fragen: Manfred Dworschak