■ Wie Herr K. sich den Kanzler einmal aus der Nähe besah
: Zwischen Kohl und Würstchen

Hamburg (taz) – In Herrn K. keimte der Gedanke auf, nach all den niedermachenden Berichten den Ort der großen Kanzler- Runde selber aufzusuchen und daselbst sich ein Bild vom Zustand der Namenschristen zu machen. Gevatter Zufall hatte Erbarmen mit Herrn K.s Wunsch und bescherte ihm gleich drei Gutscheine für die Presse-Lounge des CDU- Parteitages in Hamburg. Deren Sponsor war ein Hamburger Zigarettendreher, der den Meinungsmachern nicht nur die Technik zur Übermittlung der Nachrichten vom Befinden des großen Oggersheimers bereitstellte, sondern auch Verpflegung, langhaarige Hostessen und Rauchproben. Als Herr K. endlich zu später Abendstunde nach Überwindung der Sicherheitskontrollen in der Garderobe angelangt war, hatte er von diesem und jenem Parteiaktiven-Stand schon manche Schrift eingesackt und irritierte damit einen Fotografen, der über derlei Sammler- und Jägertrieb nur den Kopf schütteln konnte. Darüber aber kam es zu einer Bekanntschaft, und der Fotograf führte ihn durch alle Ebenen des Parteitagsgeländes. Zuvörderst erläuterte der Bild-Reporter mit dem Vornamen Heinrich dem leicht kopflosen Herrn K. die Gratisspeisen beim Zigarettendreher. Würstchen würden alle 20 Minuten aufgetischt und seien weggefuttert. Besonders genoß Herr K., daß er – nun im Besitz aller Abzeichen, die ein Außenstehender braucht, damit er ungestört durch den Parteitag spazieren konnte, – endlich den Fernseh-Politikern ganz nah sein konnte. Die Ohren von Herrn Riesenhuber waren genausogroß wie auf der Mattscheibe, und auch Herr Bernhard Vogel sah dem SPD-Bruder verblüffend ähnlich und entschuldigte sich bei Herrn K. anläßlich eines kleinen Zusammenstoßes überaus höflich. Herr K. hatte darob das Gefühl, nicht nur in Tuchfühlung mit dem Mantel der Geschichte zu geraten, sondern als kleines Hamburger Licht auch respektiert zu werden.

Herr K. benahm sich ziemlich unbekümmert, nahm einen Delegierten-Platz im gähnend leeren Plenum ein und beobachtete das Geschehen auf der Präsidiumsbühne, wo der Kanzler in der ersten Reihe saß und den Eindruck erweckte, als würde er lieber mit seinen Präsidiumsfreunden scherzen als zuzuhören. Eine gewisse Heiterkeit umfing Herrn K., als er sich mit seiner Homevideokamera den Kanzler heranzoomte und richtig Studien betreiben konnte, was das Benehmen und die Beliebtheit der Parteiführer angeht. Der Kanzler scheint es zum Beispiel zu lieben, mit seinem direkten Umfeld zu plauschen und den Delegierten den Rücken zuzuwenden. Er scheint auch ganz gezielt bestimmte Parteifreunde nicht wahrzunehmen. Im konkreten Fall etwa Nobbi Blüm direkt zu seiner Linken, der dasaß, als dürfe er in des Kanzlers Sandkiste nicht mit von der Partie sein. Nobbi Blüm überspielte dieses Manöver mit eifrigem Geblätter in Unterlagen und Kinnfassereien und wirkte völlig deplaziert, als Herr Schäuble zwischen ihn und den Kanzler rollerte. Da hellte sich des Kanzlers Gesicht sofort auf, als säße die Geliebte plötzlich neben ihm. Stundenlang noch hätte Herr K. hier verweilen können, aber nicht nur der Kanzler muß irgendwann ins Bett, auch unser Mann aus Hamburg mußte sich nach so viel Nähe zur Macht angemüdet trollen und empfing Bestätigung bei einer Garderoben- Kraft, die weit nach 23 Uhr bekundete, daß hier jetzt sowieso keiner mehr was mitkriegt. Und Herr K. entschwand, und durch den Kopf gingen ihm die Kasperköpfe, mit denen der WDR in bestimmten Magazinen Kohl, Nobbi oder Lueg spaßig bis tragisch präsentiert. Und da mußte Herr K. bei aller Übermüdung doch etwas kichern. Knut Sieversen