Zwischen den Rillen
: British Implosion

■ Reif auf der Insel: Spinner-Pop mit Deep Season und Martin Newell

Armes Großbritannien! Selbst deine Popmusik kann den Rest der Welt nicht mehr in die Knie zwingen. Waren das noch Zeiten, als Kontinentaleuropäer und US- Amerikaner mit schöner Regelmäßigkeit dem Ansturm der „British Invasion“ erlagen: Beatles! Stones! Sex Pistols! Ja selbst Leichtgewichten wie Duran Duran und Boy George gelang noch der Durchmarsch in außerenglische Hitparaden und Teenie- Träume. Heute stricken die schwer gebeutelten Music-Weeklies der Insel verzweifelt an ihren mageren Hypes, die jenseits des Kanals niemanden mehr interessieren. Ja es kursiert gar schon der Witz, wer als Manager garantiert einen Flop landen wolle, müsse nur dafür sorgen, daß seine Neuentdeckung bereits nach der ersten Single auf dem Cover des New Musical Express erscheine. Derweil hallt durch die Chefetagen der britischen Plattenindustrie nur noch ein Schlachtruf: Rezession, Baby!

Betroffen davon sind gerade jene, die sich als typische Botschafter des guten, alten Insel- Pops verstehen. Wie The Deep Season, die, zum Trio geschrumpft und um ein paar schlechte Erfahrungen reicher, aus den Ruinen des 88er-One- Year-Wonders Jim Jiminee (Album: „Welcome To Hawaii“) auferstanden waren – und geschockt feststellen mußten, daß sich trotz relativ glorreicher Vergangenheit zumindest in den A&R-Etagen der Major-Labels kein Schwein mehr für melodieseligen Brit-Pop mit leichter Groove-Schlagseite interessiert. So kursierte die plattenreife Demo für „Island Monkeys“ in Fankreisen schon über ein Jahr, bis sich schließlich ausgerechnet eine Brüsseler (!) Indie-Adresse im Major-Vertrieb seiner erbarmte.

Möglicherweise lassen es The Deep Season einfach an der nötigen Portion Patriotismus mangeln. „Mutter England“, heißt es da gleich im ersten Song („Mother Country“) eiskalt, „du kannst die Welt nicht retten.“ Und auf der Cover-Rückseite muß der Union Jack sein strahlendes Weiß-Rot-Blau konsequenterweise gegen eine verschwommene Grün-Orange- Gelb-Landschaft eintauschen, geradewegs so, als züngelten dahinter bereits Flammen, die das heilige Banner zu verschlingen drohten.

„Island Monkeys“ offeriert das, was man gemeinhin von einer traditionellen Brit-Pop-Platte erwartet: schönste Melodien, ein sanftes Schwelgen in feinsten Harmonien, auch die eine oder andere Sound-Attacke – aber doch alles im Rahmen, versteht sich. Die Einkreisung privater Befindlichkeiten („Big White Lie“, „Mood Swing Thing“) geht Songwriter Kevin Jamieson dabei überzeugender von der Hand als eine politische Schelte („Looney Tunes“), die zum Sozialkitsch tendiert. Und wenn The Deep Season im abschließenden „Listen To The Sound“ meinen, auch gegen Rap zu Felde ziehen zu müssen, offenbaren sie dabei letztlich eher hilflose Verständnislosigkeit als heilen Verstand.

Derlei Abgrenzungsversuche nimmt Martin Newell gar nicht erst auf sich. Der Ex-Kopf der Cleaners From Venus, der nach seinem (vorläufigen) Abschied aus dem Popgeschäft halbwegs erfolgreich auf – kein Witz – Literat umsattelte und für seine Dichtkunst in Büchern mit lustigen Titeln wie „I Hank Marvinned“ (haha) und „Under Milk Float“ u.a. mit dem Attribut „juke-box poetry at its best“ (Mail On Sunday) bedacht wurde, läßt die distinguierte Britishness aus jedem Lick, jeder Wendung, jeder sanften Ironie lecken. Assistiert wird er von (Achtung! feuchter Traum aller Brit-Pop-Fans) XTC-Chef Andy Partridge, der sogar seine Zinnsoldaten vorübergehend im Stich ließ, um auf „The Greatest Living Englishman“ nochmal das komplette, wenngleich budgetbedingt homestudiomäßige Brit-Bally- Hoo (incl. rückwärts eingespielter Gitarren, versteht sich) zu inszenieren. Wie bereits ein Zitat von Orwell auf der Hülle andeutet (der sich 1941 ein paar Gedanken zur britischen Nation als solcher machte), bleibt das Album dabei aber merkwürdig ambivalent. Milde Melancholie und renitenter Stolz durchstürmen Songs wie „Goodbye Dreaming Fields“ und „Home Counties Boy“. Doch resultiert daraus kein konsequenter Abgesang auf den British Way Of Life, vielmehr eine stille, fast beschwörende Bereitschaft, an einer (Re-)Vision von Britannia mit gewissen Tugenden festzuhalten. Also noch eine vernachlässigbare „Größe“ im aktuellen Popdiskurs, ein „zart-dekadenter Kleinspinner im Dienste der ewigen Sixties-Melodie“ (wie der zuständige Redakteur formulieren würde), der die Widersprüche der Jetztzeit nicht zu formulieren in der Lage ist?

Andererseits: Was kann falsch sein an Zeilen wie „The poor get angry and the rich make hay – and your youth is like a dog-rose, only blossoms for a day“? Vielleicht nur der Umstand, daß sie in diesem Kontext von kaum jemandem erhört werden. Jörg Feyer

The Deep Season: „Island Monkeys“ (J'M2/Sony).

Martin Newell: „The Greatest Living Englishman“ (Humbug/Rough Trade Import).