TV goes downtown

■ Auch Nürnberg hat jetzt ein eigenes Lokalfernsehen

Es soll das ganz heiße Ding der näheren Fernsehzukunft werden, das kommerzielle Ballungsraum-TV. Das meinen jedenfalls die lokalen TV-Glücksritter wie Ulrich Schamoni in Berlin oder Franz Georg Strauß in München.

Neuester Vorstoß in Richtung „Fernsehen aus Nachbars Garten“ ist das in Nürnberg-Erlangen geplante „Ballungsraum-Fernsehen“ des lokalen Medienfürsten Dietmar Straube („Franken Funk und Fernsehen“). Im Verbund mit dem Nürnberger Textilkönig Wöhrl, dem ungeliebten örtlichen Verleger Oschmann und der „Medienwerkstatt Franken e.V.“ will Straube ab morgen auf Kanal 23 durchstarten.

Wie das neue Lokalfernsehen aussehen könnte, blieb offiziell lange im Dunkel der Erlanger Stabstelle verborgen. Noch vier Wochen vor dem geplanten Sendestart verwies die Programmchefin lieber an den Boß, der zum Studioleiter, und dort war dann erst mal Sendschluß. Eine Ahnung dessen, was ab morgen auf uns zukommen wird, vermittelt vielleicht das tägliche halbstündige Lokalfenster Straubes auf RTL, das seit Dezember 1990 in Franken zu empfangen ist. Output des Programmplatzes mit dem Titel „Drehscheibe Franken“: Kurzberichte, Werbung und eine Gameshow mit dem Titel „Die Fränkie Show“. Dazu, einmal im Monat eine Viertelstunde soziale und kulturelle Themenbeiträge des Spartenanbieters „Medienwerkstatt Franken“.

Dieses telegene Kuckucksei hat die Bayerische Landesanstalt für Neue Medien (BLM) nun Straube auch bei der Lizensierung seines lokalen Vollprogramms wieder ins Nest gelegt. Eine halbe Stunde „Dokumentationen, Soziales und Kulturelles“ will die Medienwerkstatt monatlich zuliefern. Die behördliche Rückendeckung von seiten der Medienanstalt erklärt sich Kurt Keerl von der Nürnberger „Medienwerkstatt“ hauptsächlich durch das Renommee, das die Werkstatt seit der Verleihung des „Bayerischen Medienpreises“ durch die BLM genießt.

Ein anderer Grund für das ungewöhnliche Joint-venture sind bestimmte Lizenzauflagen für private Vollprogrammanbieter, die beispielsweise auch „Kanal 4“ oder Kluges „DCTP“ zu Fensterplätzen auf RTL und Sat.1 verholfen haben. Wer glaubt, daß bei dieser Zwangsehe zwischen dem rechten Medienunternehmer Straube und den basisorientierten Kleinproduzenten die Konflikte schon vorprogrammiert seien, unterschätzt wahrscheinlich die dünne Programmdecke des neuen Anbieters. Sechs Stunden Lokal-TV sind zu füllen, davon zwei Stunden lokale Nachrichten. Und ein reicher Patenonkel mit Unterhaltungsarchiv wie Schamonis Geschäftspartner „Time Warner“, steht Straube nicht zur Seite.

Es bleibt abzuwarten, wie das lokale Kommerzfernsehen seine dringend benötigten Werbekunden ködern will. Vielleicht hält in Bayern, wo „Offene Kanäle“ ja ausdrücklich nicht vorgesehen sind, das „BürgerInnenfernsehen“ via Nürnberger Lokal-TV Einzug in die Wohnstuben. Spötter witzeln bereis jetzt, daß aus Kostengründen wahrscheinlich jeder zweite Erlanger oder Nürnberger, der ein Mikrophon halten kann, irgendwann in den nächsten beiden Jahren einen TV-Auftritt haben wird. Denn Game- und Talkshows sind ja bekanntlich auch im nationalen Privatfernsehen die Sparschweine und Quotentreiber.

Interessanter als solche Programmdiskussionen sind laut Norbert Schmitt, Medienwissenschaftler an der Uni Siegen, die wirtschaftlichen Gründe für den bundesweiten Trend zum Lokalen. Gerade die bayerische Medienpolitik fahre in Sachen Lokalfernsehen eine gradlinige „Standortpolitik“ und habe sich die „Aktivierung lokalen und regionalen Medienkapitals“ auf die Fahnen geschrieben. Doch trotz aller Schützenhilfe bleibt ein kommerzielles Lokalfernsehen, wie in Nürnberg- Erlangen geplant, vorerst ein gigantisches Risikogeschäft. Mit ersten positiven Bilanzen kann möglicherweise erst nach sieben oder acht Jahren gerechnet werden. Die deutsche Fernsehlandschaft mit ihren öffentlich-rechtlichen Landesstudios und Regionalprogrammen, den Lokalfenstern auf den nationalen Privatsendern und den jetzt zusätzlich lizenzierten privaten lokalen Vollprogrammen, versammelt zu viele hungrige Esser um die mageren lokalen Werbekuchen.

Im Verlauf der zunehmenden Auflösung nationaler Frequenzhoheitsgebiete durch die Satellitenübertragung haben deutsche Medienplaner scheinbar die Flucht nach vorne angetreten und ein „Anything goes“ als Parole ausgegeben, dem in Zukunft viele neue Privatanbieter zum Opfer fallen dürften. Es sei denn, sie haben reiche Onkels. Gunter Becker