Der V-Mann als Mitglied der RAF

Das Bundeskriminalamt hält den Verfassungsschutzspitzel Klaus Steinmetz für einen Kurier der RAF, wenn nicht für ihr regelrechtes Mitglied  ■ Von Gerd Rosenkranz und Wolfgang Gast

Gut vierzehn Tage ist es her, da zeigten sich die Oberankläger in der Karlsruher Herrenstraße von ungewohnt milder Seite. Ohne Aufsehen stellte die Bundesanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren ein, dessen Einleitung im letzten Sommer nicht nur den Beschuldigten, sondern auch diverse Verfassungsschutzämter und Ministerien im Bund und im Land Rheinland-Pfalz in arge Nöte zu bringen versprach.

Klaus Steinmetz, Wanderer zwischen Wiesbadener Links- Szene, Roter Armee Fraktion und Mainzer Verfassungsschutz, fast zehn Jahre „Spitzenquelle“ der Schlapphüte und am Ende seiner verzwickten Karriere Köder für die tödliche Festnahmeaktion am Bahnhof von Bad Kleinen, darf sich entlastet fühlen. Der Vorwurf der Unterstützung der terroristischen Vereinigung RAF wird nicht länger erhoben. Zwar traf der V- Mann häufiger als gegenüber seinen Mainzer „Führungsoffizieren“ eingestanden die Kader der sogenannten Kommandogruppe zum revolutionären Plausch. Doch vom großen Knall, der den Gefängnisneubau von Weiterstadt im März 1993 zerlegte, oder gar von früheren blutigen RAF-Anschlägen will er im vorhinein nichts gewußt haben.

Nach dem Desaster in Bad Kleinen hatte Steinmetz zunächst ausgeplaudert, er sei vor dem Weiterstadt-Coup aus den Reihen der RAF-Aktivisten per Kassiber nach seiner Meinung befragt worden. Eine schlichte Lüge. So jedenfalls verkündete es der V-Mann im Herbst gegenüber der Bundesanwaltschaft und im Spiegel.

Die neue Version wurde gern geglaubt, nicht nur in Karlsruhe. Klaus Steinmetz, „Superspitzel“ mit RAF-Kontakt und dennoch nur ein kleines Licht ohne Insider- Wissen über die Guerilla? Auf dieses Persönlichkeitsbild konnten sich am Ende die meisten Beteiligten einigen: der untergetauchte V- Mann, weil es ihm ein paar Jahre Knast erspart und er nicht als Kronzeuge gegen seine ehemaligen Genossen auftreten muß. Die Verfassungsschützer in Mainz und Köln und ihre Dienstherren Walter Zuber (SPD) und Manfred Kanther (CDU), weil sie nicht öffentlich einzugestehen brauchen, daß ihr Supermann sie jahrelang an der Nase herumgeführt hat. Und die RAF, weil ein Verräter eben doch nicht ganz und gar dazugehören kann.

Doch so war es nicht. Jedenfalls nicht, wenn man den Ermittlern der Terrorismusabteilung des Bundeskriminalamts (BKA) in Wiesbaden Glauben schenkt. Die kamen in einer geheimen Analyse (amtsinternes Aktenzeichen: TE 11, 002 007 11 0257/93, Status: „Nicht gerichtsverwertbar“) über die Rolle des Mainzer V-Manns schon im August 1993 zu einem für die Verantwortlichen ungeheuerlichen Ergebnis: Klaus Steinmetz war in Wirklichkeit Vollmitglied der RAF.

Er habe, resümieren die Fahnder, im RAF-Zusammenhang Aufgaben, insbesondere sensible Postbotendienste, übernommen, die „ein langjährig erprobtes und exponiertes Vertrauensverhältnis“ mit den Illegalen voraussetzen. Und: Personen wie Klaus Steinmetz seien „in die Strukturen der RAF eng verzahnt und dürften zumindest im Kurierbereich, vermutlich aber auch darüber hinaus als tragende Mitglieder der RAF zu bezeichnen sein“.

Die Einlassungen des an unbekanntem Ort unter polizeilicher Obhut lebenden Ex-V-Manns halten die BKA-Terrorfahnder für völlig unglaubwürdig. Vielmehr könne „die Wahrscheinlichkeit als hoch bezeichnet werden“, heißt es in dem der taz vorliegenden Papier, daß schon vor dem „angeblich ersten Treffen im Herbst 1991 Kontakte zwischen Hogefeld/ Grams und Steinmetz bestanden und dieser eine wesentlich bedeutendere Rolle innerhalb der RAF- Strukturen eingenommen hat“. Ausgangspunkt für das dramatische Urteil der BKA-Auswerter über den Spitzenspitzel sind die Dinge, die die Fahnder nach dem Katastropheneinsatz von Bad Kleinen im Gepäck von Birgit Hogefeld und des erschossenen Wolfgang Grams fanden – vor allem aber die, die sie nicht fanden. Zu den Funden gehörten die Taschenkalender der beiden RAF-Mitglieder, dazu ein umfangreicher Briefwechsel mit ihren Eltern und mit Mitgliedern der linken Szene und, rekonstruiert aus dem Carbonband der Schreibmaschine von Birgit Hogefeld, der Inhalt zweier Briefe an Mutter Hogefeld und eine – vom BKA identifizierte – Szene-Frau mit Decknamen „Vicky“.

Aus den mäßig verschlüsselten Notizen in den Taschenkalendern und den Briefinhalten schlossen die Terrorfahnder durch „Quervergleich mit anderen Asservaten“, daß:

– an den Tagen vor der tödlichen Schießerei vom 27. Juni Birgit Hogefeld konspirativ nur mit Klaus Steinmetz (Deckname: „Bruno“) zusammenkam,

– die bei der RAF- Aktivistin gefundenen aktuellen Schreiben der Mutter Hogefelds, der Eltern Grams an ihren Sohn, der erwähnten „Vicky“ und einer anderen Szene-Frau aus der Region Saarbrücken an Birgit Hogefeld (Deckname: „Vera“) deshalb mit hoher Wahrscheinlichkeit – „in gesammelter Form“ – von Steinmetz an Hogefeld überbracht worden waren,

– die aus dem Carbonband rekonstruierten Schreiben von Birgit Hogefeld am 26. und 27. Juni, dem Tag ihrer Festnahme, verfaßt worden waren.

Der eigentliche Hammer: Weder die beiden letztgenannten Briefe noch zwei Gläser Heidelbeermarmelade, die Birgit Hogefeld im Schreiben an ihre Mutter avisiert hatte, wurden bei Grams oder Hogefeld gefunden. Schluß der BKA-Auswerter: Alles zusammen sollte von Steinmetz, der sich auf dem Bahnsteig von Bad Kleinen von den beiden RAF-Mitgliedern trennen wollte, direkt oder indirekt weitergegeben werden.

Doch während der V-Mann, nachdem er nach seiner Scheinfestnahme vom Ort des Geschehens weggeschafft worden war, die Marmelade einem Mainzer Verfassungsschützer überließ, tauchten die Briefe nie auf. Ebensowenig wurde überprüft, was während des Treffs auf einem Laptop bearbeitet worden war, den Steinmetz bei seinem Ausflug nach Mecklenburg-Vorpommern mit sich führte.

In der Wiesbadener Behörde kursieren Mutmaßungen, wonach der für die Bad-Kleinen-Aktion zuständige Kriminaldirektor im BKA in Abstimmung mit dem Mainzer Verfassungsschutz „die entscheidenden Beweismittel verschwinden“ ließ. Es könnte jedoch auch anders gewesen sein. Steinmetz hatte sich nach Scheinfestnahme und Freilassung noch am 27. Juni abgesetzt und wochenlang versucht, das Vertrauen seiner Freunde in der Wiesbadener Szene wiederzugewinnen. Wenige Tage nach der tödlichen Festnahmeaktion – noch vor seiner endgültigen Enttarnung als V-Mann – traf er sich sogar mit einer Vertrauensperson aus der Szene. Von diesem Termin, „wo ich Euch getroffen hab und was weitergab“, schrieb er Anfang August an die früheren Genossen, habe „niemand“ etwas gewußt. Die Vermutung liegt nahe, daß Steinmetz die letzten Briefe Birgit Hogefelds an ihre Mutter und an „Vicky“ übergab, möglicherweise auch mehr.

Als weiteren Beleg für die „mußmaßliche enge Einbindung des Steinmetz in die Struktur der RAF“ stellen die BKA-Auswerter in dem 18-Seiten-Papier mit viel Liebe zum Detail die vielfältigen „Personenverbindungen“ des V- Mannes in das Umfeld der RAF und die linksradikale Szene in Darmstadt, Frankfurt, Mainz, Wiesbaden und Saarbrücken zusammen. Insbesondere aus Kontakten zur „Bunten Hilfe Darmstadt“ konstruieren die BKA-Auswerter einen „möglichen Zusammenhang mit dem Sprengstoffanschlag auf die JVA Weiterstadt“.

Mit Zustimmung des Bundesjustizministeriums hat die Bundesanwaltschaft, die ansonsten gegen jeden Parolensprüher vorgeht, das Verfahren gegen Klaus Steinmetz eingestellt. Nach Informationen der taz wurde das BKA, dessen abweichende Meinung bekannt war, vorher nicht einmal um Stellungnahme gebeten, sondern „vor vollendete Tatsachen gestellt“.

Die „rückhaltlose Aufklärung“, die Innenminister Manfred Kanther bei seinem plötzlichen Amtsantritt Mitte Juli 1993 versprach, hat offenbar rückhaltloser Verdunkelung Platz gemacht. Entweder der vermeintliche Superspitzel war in Wirklichkeit Mitglied der RAF – und diese Erkenntnis kam den Staatsschützern erst nach Bad Kleinen. Oder der Verfassungsschutz war von Steinmetz über seine wahre Rolle informiert. In jedem Fall legt die BKA-Expertise nahe, daß Steinmetz frühzeitig in den Anschlag auf den Knast in Weiterstadt eingeweiht war und zumindest nicht ausgeschlossen werden kann, daß er auch von früheren Anschlägen (Rohwedder) im voraus wußte. Dann hatten auch die Mainzer Verfassungsschützer unter Umständen Kenntnis vom bevorstehenden Anschlag auf den Gefängnisneubau in Hessen. Nach dem Wirbel um das „Celler Loch“ Grund genug, einen weit größeren Skandal jetzt unter der Decke zu halten und mit dem Ex-V-Mann einen Deal auszuhandeln, der ihn vor dem Knast und die Behörden vor dem Offenbarungseid bewahrt.