■ Schöner leben
: Der Frühling stinkt

Es ist nicht wahr, was sich die Menschen seit Menschengedenken über den Frühlingsanfang zusäuseln. Es ist gelogen. Der ganze Singsang von den lauen Lüftchen und den blumigen Düftchen: komplett gelogen. Die Wahrheit ist, daß der Frühling lästerlich stinkt, besonders, wenn er anfängt.

Wenn der Frühling anfängt, jubeln die Menschen jedesmal zwanghaft und werfen dem Winter höhnische Worte nach. Daß es plötzlich stinkt, wollen sie nicht zugeben. Es ist aber so. Wie herrlich frisch war unterm Schutz der Winterkälte die Stadt geblieben, wie gütig legte sich die reine Schneedecke über die Ausschreitungen von Mensch und Hund! Wie eisig und gottlob unverweslich klirrte ringsum das Gelände!

Nun aber taut es. Die erstarrten Hundswürste erwachen zum Leben und dampfen in neuerlicher Saftigkeit, der Schimmelpilz kriecht aus seinen Verstecken, in den Abfalltonnen gären die Apfelbutzen und Pizzaburger wie nicht gescheit, und aus allen verschwiegenen Ecken dünstet uns wieder machtvoll verjüngt der Brodem des Eckenpissertums. Das ist der Frühling in seiner Pracht, meine Herrschaften.

Wir aber, wir als analerotisch gefestigte Persönlichkeiten, nicht wahr, wir begrüßen ihn, wie er ist. Wir haben's nicht nötig, herumzutiriliren; wir erkennen im Regiment von Fäulnis, Stank und Pestilenz den wahren Jakob der Vergänglichkeit und rufen mit Macht in die Welt hinaus: Nun laßt uns wieder tüchtig aasen! Manfred Dworschak