„Gerry and the Peacemakers“

■ Parteitag der Sinn Féin ging am Sonntag zu Ende

Dublin (taz) – Sinn Féin, der politische Flügel der Irisch-Republikanischen Armee (IRA), hat seine endgültige Antwort auf die britisch-irische Nordirland-Initiative gegeben: jein. Die meisten Redner und Rednerinnen bezeichneten auf dem Parteitag, der am Wochenende in einem Dubliner Vorort stattfand, die Downing-Street- Erklärung als ersten Schritt in Richtung auf eine friedliche Lösung des Konflikts, forderten jedoch weitergehende Erläuterungen. In der Erklärung vom 15. Dezember hatten der britische Premierminister John Major und sein irischer Amtskollege Albert Reynolds das „Recht des gesamten irischen Volkes auf Selbstbestimmung“ anerkannt, jedoch hinzugefügt, daß ein vereintes Irland nur unter Zustimmung einer Bevölkerungsmehrheit in Nordirland zustande kommen könne.

Sinn-Féin-Präsident Gerry Adams sagte am Samstag in einer überlangen Rede, dieses Vetorecht für die nordirischen Unionisten, die für die Union mit Großbritannien eintreten, sei das Haupthindernis für eine Verständigung. Er forderte die britische Regierung auf, unverzüglich die Gespräche mit Sinn Féin wiederaufzunehmen – diesmal jedoch öffentlich und nicht unter strikter Geheimhaltung wie in den drei Jahren bis zum Abbruch der Gespräche im vergangenen November. Adams zielte mit seiner Rede darauf ab, die Befürchtungen in den eigenen Reihen über zu große Zugeständnisse ohne Gegenleistungen zu zerstreuen. Den lautesten Szeneapplaus erhielt er denn auch, als er sagte, daß er die IRA- Freiwilligen niemals verurteilen würde, um billige Lobeshymnen der Medien einzuheimsen. In einer Pressekonferenz sagte Adams später, daß „alle möglichen politischen Systeme für ein neues Irland“ in Frage kämen: ein Einheitsstaat, eine föderale Lösung oder ein Kanton-System.

Weit bedeutender als die Adams-Rede war die Ansprache des Sinn-Féin-Vorstandsmitglieds Martin McGuinness, der von den Medien stets als „Mann der Gewalt“ dargestellt wird. Seine Rede war direkt an die britische Regierung gerichtet, deren jüngste Erklärungen er als „interessant und überlegenswert“ bezeichnete. Er stimmte der Londoner Regierung uneingeschränkt zu, daß Waffen am Verhandlungstisch nichts zu suchen hätten. „Wenn die britische Regierung bereit ist zu sagen, daß die Unionisten kein Vetorecht über die britische Regierungspolitik haben und daß Gewehre, Vetos und Ungerechtigkeiten draußen vor der Tür bleiben, dann gibt es keinen Grund dafür, warum keine Gespräche in der passenden Atmosphäre stattfinden sollten“, sagte McGuinness. „Laßt uns alle gleichberechtigt in den Konferenzsaal gehen und nicht als Bürger zweiter Klasse.“ Noch nie war Sinn Féin bisher so weit gegangen, einen Waffenstillstand der IRA in Aussicht zu stellen und als Gegenleistung lediglich Gespräche ohne Vorbedingungen zu verlangen.

Damit hat Sinn Féin, so hoffen Adams und McGuinness, die britische Regierung in Zugzwang gebracht. London und Dublin haben vorerst wenig Optionen: Die angedrohte Militäroffensive hat keine Aussicht auf Erfolg, wie die vergangenen 25 Jahre bewiesen haben. Die Wiedereinführung von Internierungen ohne Anklage, über die bereits laut nachgedacht wurde, wären ein politisches Eigentor – das wissen auch Major und Reynolds. Die erneuten Mehrparteiengespräche ohne Sinn Féin, die sie für den Fall angekündigt haben, daß die Partei die Downing-Street-Erklärung ablehnt, sind bereits in den Startlöchern steckengeblieben. Die beiden unionistischen Parteien haben abgesagt.

In der Sunday Times erinnerte Liam Clarke am Sonntag an den Unterschied zwischen Taktik und Strategie: „Taktik ist eine kurzfristige Angelegenheit. Der Erfolg oder das Versagen einer Strategie zeigt sich jedoch erst über einen längeren Zeitraum.“ Ralf Sotscheck

Siehe Portrait auf Seite 11