„Wir kommen nicht als Bittsteller, sondern als Nettozahler in die Union“

■ Österreich, das bis gestern noch nicht unterschrieben hatte, pocht auf seinen mit der EU abgeschlossenen Transitvertrag

Alois Mock ist schon ganz schwindelig vom vielen Fliegen. Seit drei Monaten pendelt der österreichische Außenminister mit einem guten Dutzend Verhandlern nun schon zwischen Wien und der Brüsseler Rue Belliard hin und her, um den EU-Beitrittsvertrag mit der Alpenrepublik zu besiegeln. Doch trotz des österreichischen Herdenauftriebs in dem schmucklosen Kommissariat waren die Klauseln bis gestern nachmittag noch immer nicht unterschriftsreif, und das obwohl die Verhandlungsfrist in der Nacht zum Dienstag bereits abgelaufen war. Für Mock und seine Österreicherschar, der fünf weitere Minister angehören, steht viel auf dem Spiel: Gehen die Vertragsverhandlungen in die Hose, wird die rot- schwarze Regierungsallianz bei den Nationalratswahlen im Herbst für ihr Ungeschick bestraft. Gibt Delegationsleiter Mock den hartnäckigen EU-Unterhändlern nach, kann er, wie das Massenblatt Kronenzeitung prophezeiht, ruhig schon auf der Heimreise nach Wien im Flugzeug zurücktreten.

Kein leichter Stand also. Ausgerechnet Österreich, das als erstes der vier Länder sein Beitrittsgesuch abgab und unermüdlich seine Beitrittsfähigkeit herauskehrte, soll nun zum Außenseiter werden? Festgebissen haben sich die Delegationen letztlich am Alpentransit. Gestärkt durch die Schweizer Alpeninitiative, nach der die leidigen ausländischen Laster auf die Schienen verbannt werden, pocht Österreich auf seinen vor zwei Jahren mit der Gemeinschaft abgeschlossenen Transitvertrag. Diese ökologisch durchaus sinnvolle Regelung, die erst Ende 2004 ausläuft, sieht unter anderem vor, die Schadstoffemission der Lkw-Flotte durch ein kontingentiertes Ökopunkte-System auf 60 Prozent zu senken. Schließlich, so das Argument, seien die schützenswerten Berge nicht mit einem x-beliebigen Flachland zu vergleichen, und jede Abweichung provoziere einen Aufschrei der Bevölkerung. Ob es gelinge, mit der EU einen vorzeigbaren Vertrag auszuhandeln, der bei einer Volksabstimmung auch von der österreichischen Bevölkerung akzeptiert werde, hänge vom Brüsseler Ministerrat ab.

Gegen den Alpentransit laufen vor allem die Südländer Sturm, denen sowohl die Kontingente als auch die vergebenen Punkte viel zu gering ausfallen. Und Frankreich fürchtet bei der schweizerisch-österreichischen Lasterblockade zum Haupttransitland zu werden. „Österreich“, spielte Bundesverkehrsminister Matthias Wissmann Außenpolitik, „wird sich für einen Verkehrswettbewerb öffnen müssen.“ Angeboten haben die EU-Emissäre schließlich einen Kompromiß: eine fünfjährige Übergangsfrist und zweijährige Anschlußverhandlungen. Damit ist der Schwarze Peter wieder bei Alois Mock gelandet: Soll er auf Biegen und Brechen auf dem Vertrag bestehen und den Weg nach Europa an ein paar Ökopünktchen scheitern lassen? Oder sich zu Hause eine Blamage einhandeln? Aber auch ein Hinausziehen der Verhandlungen ist nicht minder riskant, da die EU ihr Interesse an der Alpenrepublik verlieren könnte.

In fast schwindelerregendem Tempo wollte die Gemeinschaft zunächst den Kandidaten Österreich unter die Fittiche nehmen. Das hat einen guten Grund: Die von einer schweren Wirtschaftskrise und grassierender Massenarbeitslosigkeit geplagte EU kann wirtschaftlich starke Staaten gut gebrauchen. Und da hat Österreich einiges zu bieten: Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf liegt mit 36.566 Mark knapp 5.000 Mark über dem EU-Schnitt, die Arbeitslosigkeit rangiert mit 4,2 Prozent der Erwerbstätigen weit unter den übrigen EU-Staaten (11 Prozent), und auch bei der Bruttoverschuldung zeigt sich Österreich mit 57 Prozent wesentlich disziplinierter als die notorischen Schuldenmacher Italien, Spanien, Belgien und Deutschland. Nur das Haushaltsdefizit ist etwas zu groß geraten, sonst hätten die Wiener Diplomaten den Brüsseler Kommissaren glatt die Erfüllung aller Maastricht-Kriterien zur Währungsunion verkünden können. In der EU selbst nimmt derzeit kein einziges Land diese Hürden – Grund genug für die Österreicher, sich keineswegs als Land zweiter Klasse zu fühlen. Im Gegenteil: „Wir kommen nicht als Bittsteller, sondern als Nettozahler in die Union“, hieß es aus Wien.

Dennoch, an heißen Themen fehlte es nicht: Die Österreicher fürchteten um Zweitwohnsitze, weil die deutschen Pensionisten sonst die Alpen aufkaufen könnten; um Grenzkontrollen, weil sonst zu viele billige Waren eingeschmuggelt würden; um ihre Landwirtschaft, weil es sonst den armen Bergbauern an den Kragen ginge; um Steuern, weil sich da vieles nicht so leicht harmonisieren ließe. All diese emotionsgeladenen Themen konnten durch Schutzklauseln für Österreich jedoch aus dem Weg geräumt werden.

Was jedoch zusätzlich die Gemüter erhitzt, ist der künftige sicherheitspolitische Status Österreichs. Ausgerechnet der Wolfgangsee-Urlauber Helmut Kohl, sonst Befürworter eines schnellen Beitritts, brüskierte die Alpenländer schon nach dem letzten EU- Gipfel mit spitzen Bemerkungen: „Bei einem Europacup-Spiel können Sie auch nicht daherkommen und sagen, wir spielen aber nach unseren eigenen Regeln.“ Auch die Euro-Fundis Frankreich und Niederlande wollten es bei der Neutralitätsfrage genau wissen. Dabei ist gerade die österreichische Neutralität ein heikles Thema, weil es wie kein anderes die Wiener Koalitionsgeister scheidet. Zunächst einmal hat die EU akzeptiert, daß Österreich seinen Staatsvertrag von 1955 vorerst nicht ändert. Doch während Mock (ÖVP) das Land nach dem EU- Beitritt gerne in die Nato einfügen will, graust es dem Regierungspartner SPÖ angesichts der hohen Neutralitätsgläubigkeit der Bürger vor einer solchen Vorstellung. So bleibt nicht nur genug Stoff für eine EU-Volksabstimmung, sondern auch für die kommende Nationalratswahl. Erwin Single