Gott, was für ein lahmes Zeugs!

■ Vor seiner Klaviernacht am Samstag in den Weserterrassen: Joachim Kühn über den Stand der Dinge im Jazz

Jetzt hat er doch schon alles Erdenkliche hinter sich: Joachim Kühn ist zwölfmal zum besten Jazzpianisten Europas gewählt worden, er hat Fusion, Bebop, Freejazz und immer mal wieder die Klassische Musik durcheilt wie kein zweiter, er war in zahllosen Städten polizeilich gemeldet und in Paris immer am liebsten, und nun hat er sich's mal gegönnt und einfach eine CD namens „Famous Melodies“ aufgenommen: Songs von Kurt Weill bis Cole Porter. Am Samstag spielt er bei Dacapo im Bürgerhaus Weserterrassen; die taz wollte vorab schon mal viel von ihm wissen.

Ihr Kollege Eberhard Weber sagte neulich, der Jazz habe gesagt, was er zu sagen hatte; nun sei's auch mal gut. Wollen Sie widersprechen?

Das will ich wohl. Es gibt jede Menge Leute, die noch mit Freuden herumprobieren und auf Risiko gehen. Aber ich muß schon auch sagen: Was man so in der Regel zu hören kriegt, das ist ein Greuel. Das entsetzt mich jeden Tag aufs Neue. Früher kam ja doch alle paar Monate eine Platte heraus, auf die man regelrecht gewartet hatte, es waren gewagte Geschichten darunter und immer wieder Meisterwerke, aber jetzt? Mein Gott, sag ich mir da, was für ein langweiliges Zeugs!

Haben Sie eine Erklärung?

Nein. Ein kleiner Teil der Schuld trifft aber doch auch diese Jazzschulen, von denen ich überhaupt nichts halte. Da lernt der Nachwuchs der Reihe nach seine Phrasen, und das war's. Ich bezweifle, daß in der jüngeren Generation überhaupt noch nennenswert improvisiert wird. Eine andere Sache ist die, daß aus dem amerikanischen Jazz seit fünfzehn Jahren kaum mehr Impulse kommen. Die achtziger Jahre waren dort ja mit Abstand die lauesten Jahre der Jazzgeschichte. Ich weiß auch nicht warum. Die Musiker wären da, denke ich, aber die Leute wollen immer nur den alten Bebop hören, die Clubbesitzer bestehen drauf, und in New York zum Beispiel kann man fast nur noch Standards spielen.

Aber hierzulande kämpfen viele der alten Clubs um ihre Existenz. Da haben Sie auch nichts von.

Ja, ich frage mich aber, ob das so negativ ist. Ich finde ohnehin, daß der Jazz in die Konzertsäle gehört. Die Clubs sind für die Jungen da, damit sie Erfahrung sammeln und auf ihre Stunden kommen. Nein, das ist schon gut, daß es in Europa mehr Konzerte als Clubs gibt. Und dann die ganzen Festivals! Es sind schon Hunderte inzwischen, und übers ganze Jahr verteilt. Für uns heißt das: Wir können, anders als in Amerika, eigentlich spielen und aufnehmen, was wir wollen. Es findet sein Publikum, und niemand redet uns drein.

Sie sind ja nun einer, der schon so gut wie überall war. Gibt es einen Ort, wo Sie unbedingt hin müssen?

Nein. Es reicht einfach allmählich. Neulich war ich doch noch mal auf Trip in Indien und Pakistan, aber ich muß sagen, da geh ich dann schon kaum mehr aus dem Hotel raus. Das ist einfach nicht gut fürs Auge.

Fürs Auge?

Naja, all die unglaubliche Armut. Ich ertrag das nicht.

Ist Ihnen denn die indische Musik wichtig?

Nicht wirklich. Ich spiel schon mal diese Skalen, aber nur für mich. Das ist eine andere Welt.

Andererseits hat man Ihrer Musik schon immer angemerkt, daß Sie viel auf Reisen waren. Haben Sie sich da auch mal verlaufen?

Bestimmt sogar. Nehmen wir nur meine drei, vier Jahre in Kalifornien. Gott, ich kam da aus dem kalten Norden in dieses Paradies, ich machte Platten mit Joe Henderson, ich stellte mir eine Band zusammen, und binnen kurzem war ich ganz schön seicht geworden. Als ich's gemerkt hatte, brach ich das sehr schnell wieder ab. Nein, für mich ist der beste Ort immer Paris gewesen. Paris ist voller Inspiration, gut fürs Auge, einfach eine Stadt, die mir noch nie langweilig geworden ist. Außerdem gibt's dort eine außerordentlich vitale Jazz-Szene. Das hat sich nur bis nach Deutschland noch nicht rumgesprochen.

Und sonst leben Sie immer noch auf Ibiza?

Ja, da hab ich meinen Meerblick. Aber auch das wird bald ein Ende haben, das weiß ich jetzt schon.

Sie sind jetzt fünfzig. Haben Sie eine Ahnung, wie Sie mit hundert spielen werden?

Nein. Ich glaube, ich möchte mit neunzig aufhören.

Könnten Sie sich denn als alter Grenzüberschreiter nochmal für die neueren Acid-Jazz- oder

Hiphop-Jazz-Mischungen begeistern?

Ich probier das schon mal, aber ich mach mir nicht viel draus. Man kennt das ja: Immer wenn einer Sorte von Popmusik die Luft ausgeht, mischt man wieder ein bißchen Jazz drunter, umgekehrt spielen irgendwelche Popgrößen auf Jazzfestivals herum, obwohl es doch reichlich Popfestivals gibt, und niemand weiß mehr so recht, was das Wort Jazz überhaupt noch bedeuten soll. In Hamburg kann es sogar Dixieland bedeuten.

Fragen: Manfred Dworschak

Joachim Kühn spielt am Samstag um 22 Uhr im Bürgerhaus Weserterrassen , Oster deich 70 b.