Sanssouci
: Nachschlag

■ "Schwitters und Jazz" im BKA-Zelt

Ein wenig ratlos steht Pianist Hannes Zerbe nach der Vorstellung am Büffet. War das blau-rote Zirkuszelt des BKA einfach nur schlecht gefüllt, weil es der erste Abend von „MERZ-Jazz, Schwitters und Jazz“ war? Oder hat der Dadaist Kurt Schwitters heute plötzlich keine Relevanz mehr? „Damals, in der DDR, gab's jedesmal heftiges Gelächter, wenn es hieß: Nicht in den fahrenden Genossen springen.“ Zerbe weiß nicht mehr so genau, seit wann er eigentlich schon mit Hans Joachim Frank (Worte) und Jörg Huke (Posaune) merzmäßig durch Deutschland tingelt. fünf Jahre sind es aber schon, „mindestens“.

Die ersten Zeitungsausschnitte sind jedenfalls von 1988. Die Karl-Marx-Städter Union berichtet von einem „umfassenden Gespür für das Heute“, in Dresden äußert sich (sehr) leise Kulturkritik in der Formel von „oftmals vielsagendem Nonsens“ bei Schwitters. Immerhin war es in der DDR möglich, seinen „Zwangsumtausch“ in eine Volk&Welt-Ausgabe von Schwitters-Texten umzuwandeln. Die Realsozialisten hatten also wenig Angst vor Anna Blume, der Frau, die von hinten und vorn gleich ist. Anders als damals. Zu Beginn der zwanziger Jahre, als Schwitters seine Merz-Abende veranstaltete, bekam er in Utrecht einen Kranz aus „verrotteten Blumen und Knochen“ von vermummten Männern überreicht. „In Hildesheim konnte sich Schwitters vor den Attacken einer ,deutschen Frau‘, die sich durch Anna Blume zutiefst beleidigt fühlte, nur durch Flucht retten“ (rororo Bildmonographie). Nun also Schwitters im BKA: kein Grund zur Panik, kein Ernst Jandl. Zum Glück auch nicht „Lyrik & Jazz“. Hans-Joachim Frank kennt seinen Text, „jedes Wort hat eine gewisse Bedeutung“, die Blätter, auf denen Schwitters' Texte stehen, läßt Frank nach Gebrauch manchmal beiläufig, manchmal in gespielter Wut zu Boden segeln. Frank ist nicht der expressive Lautmaler.

Durch den Wolf gedreht werden die Texte erst von Hannes Zerbes Synthie. Mit viel Hall und Vocoder versucht er Schwitters' aufbrausende Zahlenreihen – Tonbandaufnahmen bezeugen seine wilde Ausdruckskraft, wenn er persönlich zum Vortrag anhob – maschinell herzustellen. Eine Variation der „Rakette B“ gerät hiphoppig. Gleichzeitig schmunzelt man über das Bemühen, hier mit relativ begrenzter Technik loophafte Effekte zu erzielen. Gäbe es die DDR noch, würde man aus dem Secondhandhaften sicherlich etwas Typisches herauslesen. So hat man das Gefühl, bei einem netten Abend dabeizusein, der keinem wehtut.

Bleibt die Frage, ob der Dadaist Schwitters heute überhaupt noch provokant sein kann und wie man ihn weniger museal aufführen könnte. Immerhin war er richtungweisend für die Selbstvermarktung von Kunst. Sein Markenzeichen MERZ, ein Wort- Rest von Kommerz, stand schon fest, als es das Produkt noch gar nicht gab. Als sei er der erste Rapper gewesen, hat er seinen Markennamen immer wieder auch in seine Texte und Kunst eingebaut, ja diese um den Begriff MERZ herum konstruiert. Wenn die HipHopper von heute ständig von sich selbst erzählen und permanent für ihre Firma Reklame machen, dann war Kurt Schwitters aus der Keksstadt Hannover ihr heimliches Vorbild. Irgendwie. Andreas Becker

Noch bis zum 6. März täglich 20 Uhr im BKA-Zelt, Potsdamer Straße (neben der Philharmonie), Tiergarten.