Querdenker werden Langweiler

■ Wie in Hamburg die Statt Partei mit der SPD regiert

Etwas Neues, ganz Besonderes regiert seit drei Monaten die Hansestadt Hamburg – nur, niemand merkt's. Gegründet als Allheilmittel gegen Filz und Frust, drückt der strahlende Stern am Himmel der Protestparteien, die Hamburger Statt Partei, seit November gemeinsam mit dem Kooperationspartner SPD das Regierungsbänkchen. Was im September nach ihrem fulminanten Einzug in die Bürgerschaft noch wie das Einläuten einer anarchistischen Ära anmutete („Alles neu, alles anders, alles besser“), verkam derweil zum leisen Klingeln – alles beim alten. In weniger als einem Jahr durchlebte die bürgerliche Wählervereinigung, inzwischen zur Partei gereift, fast alles, wovon manch andere Partei noch träumt.

Im Juni wurde sie von dem Ex- CDU-Rebellen Markus Wegner nach seiner erfolgreichen Verfassungsklage aus dem Stegreif gegründet. Drei Monate später hüpfte sie lässig über die Fünfprozenthürde und nach weiteren zwei Monaten ins Regierungsbündnis. Doch der Erfolg erzeugte bei vielen, vornehmlich dem Gründervater, heftiges Suchtverhalten: Statt sich ans Einlösen ihrer Wahlversprechen zu begeben, regiert uneingeschränkt das olympische Prinzip „schneller, höher, weiter“. Während die siebenköpfige Bürgerschaftsfraktion dilettantisch vor sich hin wurstelt und die beiden von der Statt Partei benannten, parteilosen Senatoren völlig losgelöst ihrem Tagewerk nachgehen, okkupieren erfolgstrunkene Allmachtsphantasien die Hirne des Parteivorstands und des Fraktionsvorsitzenden Wegner: Den Blick in die Ferne, bereiten sie nun alles für ihren Einzug in den Bundestag und ins Europaparlament vor. Dabei ist offenkundig, daß den politisch unbeleckten Newcomern selbst ein lokalpolitisches Programm fehlt.

Wie wenig ihre Ankündigungen (Wahlslogan: „Querdenker statt Musterknaben“) wert waren, hatten sie bereits in den Koalitionsverhandlungen bewiesen. Stromlinienförmig angepaßt, hatten sie das von Bürgermeister Henning Voscherau geschnürte Regierungspaket durchgenickt und sich zum willfährigen Mehrheitsbeschaffer degradieren lassen. Und auch im Alltagsgeschäft versagt die Bürgerschaftsfraktion. Mit Debattenanmeldungen über die „Direktwahl des Bundespräsidenten“ oder „Promillebegrenzung für Autofahrer“ erzeugt sie allenfalls ausufernde Gähnattacken. Wie wenig ernst ihr Regierungspartner sie nimmt, zeigte jüngst eine Ausschußabstimmung: Dort wurde ein Abgeordneter der Statt Partei erstmals von einer rot-grünen Mehrheit überstimmt.

Doch wenn die Protestpartei politisch schon nicht glänzen kann, tut sie sich wenigstens durch parteiinterne Streitigkeiten hervor: So wird dem Wegner-Unternehmen der Wegner langsam zum Problem. Der Choleriker mit der Führungsneurose sorgt durch seine Pöbeleien auf Mitgliederversammlungen für mieses Klima. Nach der letzten Versammlung, die den Weg für die bundesweite Ausdehnung frei machte, traten fast alle Opponenten resigniert aus. Auf den Versammlungen macht sich der Frust über den Schwund der Grundprinzipien wie Transparenz, innerparteiliche Meinungsvielfalt und Bürgernähe breit. Ein Marathonwahljahr kommt da gerade recht, um den Unmut noch eine Weile in Schach zu halten. sako