Pralle Blutwurst auf der Matte

„Wir können keine Ringer herzaubern“, klagt der Bundestrainer anläßlich der Deutschen Freistilmeisterschaften  ■ Aus Schriesheim Günther Rohrbacher-List

Am 24. Februar 1579, Mathiae Apostoli, verlieh Ludwig VI., Kurfürst von der Pfalz, dem Dorf Schriesheim einen Jahrmarkt. Die Bergsträßler gingen's fleißig an, und im 18. Jahrhundert gab es derer vier blühende Vieh- und Krämermärkte, die wichtigsten in Baden. Seither feiert man hier jedes Jahr Anfang März den Mathiasmarkt, zu dessen Höhepunkt regelmäßig (rechts-)konservative Politiker – dieses Mal darf Rexrodt ran – ins Festzelt geladen werden.

Mit der Industrialisierung und dem Aufstieg Mannheims sank die Bedeutung Schriesheims, beste Voraussetzung für die Ausbreitung des Ringsports. Dieser hat sich abseits der Metropolen etabliert und ist in einigen Bundesländern geradezu ausgeblutet.

Bei den Deutschen Meisterschaften im Freistilringen waren keine Ringer aus Bremen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg- Vorpommern am Start. „Wir werden diesen Landesverbänden und ihren Vereinen alle Hilfe zukommen lassen, aber wir können keine Ringer herzaubern“, hielt Bundestrainer Wolfang Nitschke ein Plädoyer für die Überwindung des Süd-Nord-Gefälles.

Das West-Ost-Gefälle scheint derweil überwunden. Mußten die Ostdeutschen vor zwei Jahren in Lampertheim noch in kalten Hotelzimmern und Waldhütten auf Matratzen bei neun Grad minus übernachten, so logierten sie dieses Mal in schicken Mittelklassehotels. Sven Nagel vom KFC Leipzig, Fünfter in der 100-kg-Klasse, konnte es nicht fassen. „Ich bin in einem Hirschberger Hotel mit Sauna und allem drum und ran. Da gibt es keine Beschwerden, nein.“ Kritik gab es dagegen am neuen Entscheidungsmodus, der „direkten Elimination“.

Kämpften die Männer in Rot und Blau früher in Pools, die ihnen mehrere Chancen ließen, so war in Schriesheim für einige der Weitgereisten schon nach einem Kampf aSchluß. Auch DRB-Präsident Gerolf Staschull sieht hier Handlungsbedarf, doch „der Weltverband gibt die Regularien vor, da können wir nicht ausscheren“.

Aus der Reihe tanzten dann die Athleten Rainer Heugabel, alter und neuer Deutscher Meister bis 48 kg und André Backhaus, entthronter Champion in der Kategorie bis 74 kg. Beider Finalkämpfe wurden vorgezogen, damit die starken Männer rechtzeitig in Wiesbaden beim „Ball des Sports“ den Dank der Ringer abstatten konnten. Backhaus' Bezwinger, der Goldbacher Alexander Leipold, erschreckte seinen Gegner mit bandagiertem Ohr und Kinn, Überbleibseln aus dem Finalkampf Goldbach-Mömbris-Königshofen. Gegner und Verlierer: André Backhaus!

Den einzigen Titel für die Ringer aus den neuen Bundesländern holte der Luckenwalder Heiko Balz gegen den Titelverteidiger Arawat Sabejew aus Schifferstadt. Dagegen fiel sein Klubkollege Daniel Wilde der Dominanz des KSV Witten zum Opfer. Mit Volker Anger, Sven Thiele und Christian Graupeter als Deutschen Meistern avancierten die Ruhrgebietler zu den erfolgreichsten Titelsammlern, lediglich ausgebremst von Schifferstadts letzter Hoffnung Andreas Kubiak, der Ralf Lyding keine Chance ließ. Dafür zog der Pfälzer Ludwig Schneider gegen den WM-Dritten von 1988, Rahmat Soukra, den kürzeren. Soukra, laut Wolfgang Nitschke in schlechtem Trainingszustand, hangelte sich im Stile einer prallen Blutwurst mit seinem schicken schwarzen Schuhwerk durch die Verlängerung und landete unmittelbar vor der Sirene die siegbringende Zweierwertung.

Bis letzten Mittwoch war der 29jährige noch Bulgare gewesen, dann hatte das Darmstädter Regierungspräsidium ihm zur rechten Zeit einen deutschen Paß ausgestellt. Ohne Zutun und zur Verwunderung der DRB-Oberen. „Wir haben mit Ingo Manz einen starken Mann in der 90-kg-Klasse. Ich hoffe, daß er jetzt nicht um seine EM- und WM-Chancen gebracht wird“, sorgte sich DRB- Vize Helmuth Pauli vor den Wettkämpfen. Wolfgang Nitschke sieht bei der zunehmenden Zahl der Einbürgerungen Handlungsbedarf: „Wir müssen das in den Griff kriegen, sonst sehe ich für unseren Nachwuchs schwarz.“

Angesichts dieser Problematik traf das Grußwort des Bundeskanzlers den falschen Ton. Ausgerechnet jener, welcher für eine restriktive Ausländerpolitik steht, freute sich „sehr, daß diese Meisterschaften unter dem Motto ,Mein Freund ist Ausländer‘ stehen.“ Ob dies auch in Zukunft noch für Ingo Manz gilt, darf zumindest bezweifelt werden. Er wurde hinter Soukra und Schneider Dritter und kann für die Fortsetzung seiner internationalen Karriere nur noch auf den Beistand des Bundestrainers hoffen.