„Retortenübungen“

Beauties – Fotos zu weiblicher Schönheit in den Hamburger Deichtorhallen  ■ Von Birgit Glombitza

Irgendwo zwischen den schwarzen Kajal-Balken blitzt noch etwas Augenweiß. Das kleine Ohr liegt ungewöhnlich tief, so tief, daß sich Kieferknochen und angewachsenes Ohrläppchen treffen. Über dem nach vorne geschobenen Kinn ein fast symmetrisches Herz aus Lippen. Dann ein nicht enden wollender Nasenbogen, der kurz vor der Wurzel in eine tiefe Senke fällt, ganz so, als brauche er Anlauf für die hohe Stirn.

Von Ferne erinnert das Profil an eine unbehütete Nofretete. Und aus der Nähe muß das Auge erst auf Spurensuche gehen, bevor es dem Etikett am Bildrand traut. Silberblick und schwabbeliger Mund sind wegfotografiert. Aber die Nase verrät ihre Trägerin: „Barbra Streisand, Funny Lady, 1974“. Und so tritt die Streisand, wenn auch nahezu unkenntlich, in den Olymp der Leinwand-Schönheiten.

250 weibliche Kinostars sind als „Beauties“ derzeit in den Hamburger Deichtorhallen ausgestellt. Gesammelt hat sie Peter W. Engelmeier, der das mit 3,3 Millionen Fotos größte filmhistorische Bildarchiv sein eigen nennt. Und weil der Verleger (pwe) sich eben gern mit Schönheit umgibt, arbeitete auch Gattin Renate als Model. Was eine Schönheit ist, weiß er genau. Die Bergman ist eine, die „natürliche“ Farrah Fawcett-Mayor auch; Madonna, Naomi Campbell und Claudia Schiffer sind es nicht. Denn „vollendete Gesichter, entindividualisierte Züge“, schreibt der Kenner im Katalog, sind „Retortenübungen“. Mit Modefotografie, die inzwischen das Starportrait mindestens eingeholt hat, wird die Austauschbarkeit auf den Jahrmarkt der Eitelkeiten geworfen. Die männliche Sehnsucht nach der, wenn schon öffentlichen, dann wenigstens individuell abgestimmten Frau wird unterlaufen. Chamäleons, die mit zwei Strichen zur Dietrich werden oder nach Wasserwelle und Bleichmitteln zum männermordenden Monster Mae West, betrügen ihre Betrachter, bringen sie um den erträumten Triumph, die Eine zu begehren. Und so ist nicht schön, was nicht sein soll – Madonna und Konsorten.

Irritierend nur, daß die perspektivisch zurechtgebogene Streisand oder Chers Silikon-Inletts Gnade vor dem Herren finden. Der Einfluß von Muttermilch, Skalpell oder Objektiv interessiert den Sammler – der der Macher auf die Gemachten bleibt jedoch ungleich faszinierender und in den Deichtorhallen ignoriert. Immerhin wird es auch Regisseur Josef von Sternberg freuen, daß gerade „das Unnahbar-Ferne, Undurchschaubare“ die Dietrich zur „Beauty“ kürt, schließlich bekannte er einst: „I am Miss Dietrich.“

Spricht aus dem Katalogtext eine verzeihliche Definitionsschwäche und die private Vorliebe für Nostalgisches, entblößt sich in der Anordnung der Exponate blanke Willkür. Da blickt mit großen, sinnsuchenden Augen eine stickende Cathérine Deneuve („Belle de Jour“, 1966/67) aus dem Bild, das ebenso großzügig wie falsch der Rubrik „Hitchcocks Blondinen“ zugeteilt wurde. Lange Haare, hochgesteckt nach der Mode verschiedener Jahrhunderte, das verbindet – so wollen es die Ausstellungsmacher – Nastassja Kinski („Frühlingssinfonie“, 1982) mit Isabelle Adjani („Die Geschichte der Adele H.“, 1975) und Michelle Pfeiffer („Gefährliche Liebschaften“, 1988). Zweifelnden wird eine weitere thematische Klammer angeboten – „Gefühl“. Unter „Sex“ sammelt sich zuletzt alles, was die Gießkanne noch nicht verschüttet hat, ob Ekberg, Magnani oder Basinger. Hedy Lamarr, eine verruchte Nacktmimin der ersten Stunde, strahlt unter dem Schriftzug „Eleganz“.

Jayne Mansfield, mit nichts als dem Hündchen unter dem Nerz, Anita Ekbergs pralle Erotik. Diese ausgestellte Weiblichkeit bleibt nur aus der Distanz genießbar – unter Glas oder im Projektor. Sprängen die Damen aus dem Rahmen, würde jedermann vor der Bedrohung das Weite suchen. Genau wie in Fellinis „Die Versuchung des Doktor Antonio“, als sich die überlebensgroße Ekberg von der Plakatwand blättert und ihren treuen Fan fast in den Herztod treibt – Anita ist eben bigger than life.

Nicht nur bei „Sex“ und „Eleganz“ huschte ein Ordnungsgeist mit männlichem Blick über den Oberflächenglanz des Barytpapiers. Wohlwollend präsentiert man Bette Midler und Marianne Sägebrecht als Heldinnen, die in Zellulitis keinen Widerspruch zu Zelluloid sehen. Schönheit kommt, wenn schon nicht aus den Genen, dann wenigstens mit dem Können. Ihren Wandel katalogisiert man nach Hosen- und Augenaufschlag, nach Augenbrauendichte und Lockenwicklergrößen. Diese Indizien sollen für sich sprechen und kommentierende Tafeln unnötig machen. So wird auch die Abteilung Filmgeschichte in den Deichtorhallen mit dem Lippenstift geschrieben. Unter großspurigen Ziffern, nach Dekaden gegliedert, ein aufgeschlagenes Sammelbuch, doch die wichtigsten Bildertütchen bleiben verpackt. Verpaßt hat man den neuralgischen Zeitpunkt (von den 10ern zu den 20ern), zu dem sich die von der Schaustellerin zum weiblichen Star mausernden Darstellerinnen nach der Decke der Filmindustrie zu strecken begannen. Bevor die Leinwand-Heldinnen zu Imagines expandierender Massenkultur avancierten und mit den aufkommenden Genres auf Hure oder Heilige abonniert wurden, experimentierten sie mit Etiketten der Weiblichkeit und bürgerlichen Moral. Im Dunkel der Kinosäle durften sie öffentlich und ungestraft den Mann ihrer Wahl herzen, den Gatten erstechen. Obwohl Bilder etwa zur selben Zeit laufen lernten, in der Frauenrechtlerinnen ihre Geschlechtsgenossinnen zu Gründung von Vereinen und zu Aktionen bewegten und die Lichtspielhäuser überwiegend von Frauen bevölkert wurden, scheut man sich in Hamburg vor jeder noch so zarten Parallele. Die Schaulust, mit der fiebrige Augen verfolgten, wie Asta Nielsen im dramatischen Finale von „Die Sünden der Väter“ (1912) ein Bild verwüstet, das der Hauptdarsteller von ihr gemalt hat, war weiblich. Und Theda Bara, die ihre Üppigkeit lasziv in „Cleopatra“ (1917) auf dem Thron plaziert, war weniger „Opas Droge“, wie Katalog und Ausstellung glauben machen möchten, als vielmehr Omas visionäre Spielwiese. Schließlich galten rauchende Frauen als öffentliches Ärgernis. Fehlte männliche Begleitung, signalisierten rote Lippen und dunkel umränderte Augen dem Schutzmann: Achtung, Dirne! Statt gesellschaftlicher Einbindung lieber ein historischer Einstieg mit einer pausbäckigen Mary Pickford (1919), deren Lächeln infantile Weiblichkeit verheißt. Im Sauseschritt Stippvisite bei Parade-Arierin Brigitte Helms, dann ein längerer Aufenthalt bei Margaret Lockwood und ihren Zeitgenossinen der 40er. Spätestens mit ihr kehrte die Seele des Hauses und die brave, familiale Bestimmung als Paradigma weiblicher Reproduktionsaufgaben auf die Leinwand zurück. Schönheit wird nun als Moral buchstabiert. Ihr Gewand ist schlicht, die Weltwirtschaftskrise hinterläßt im bescheidenen, strengen Look ihre Spuren. Kostümbildner orientieren sich an der Durchschnittsfrau auf der Straße. Es ist trotzdem die Zeit Silvana Manganos und der frühen Simone Signoret.

Trotzdem die Ausstellungsmacher der „Faszination des schönen Scheins“ allzu sehr auf den Leim gegangen sind und primär nach Männer-Bildern fahnden, bleibt der Besuch bei den „Beauties“ lohnend. Wiedersehen macht Freude und erinnert an all die Stunden, in denen vor Mitleiden und -lieben die sauren Stäbchen in den Händen schwitzten und den aufgesperrten Mund einfach nicht erreichen wollten.

„Beauties – Faszination des schönen Scheins“. Eine Ausstellung von Starfotografien aus dem Filmhistorischen Archiv Peter W. Engelmeier. Bis zum 10.4. in den Hamburger Deichtorhallen, anschließend Deutsches Filmmuseum, Frankfurt/Main, und Museum für angewandte Kunst, Köln. Der begleitende Schwarzweißkatalog, 240 Seiten, im pwe-Verlag, kostet 49,80 DM.