Höhere Löhne für die „Antikommunisten“

Polens Gewerkschaft Solidarność ruft zum Streik: Die von Sozialdemokratie und Bauernpartei gebildete Regierung soll ihre Wahlversprechungen endlich in die Tat umsetzen  ■ Aus Warschau Klaus Bachmann

Polens Solidarność ruft wieder zum Streik: Wenige Monate nach den Parlamentswahlen, bei der viele ihrer ehemaligen Gegenspieler erneut an die Macht kamen, will sie heute gegen die parlamentarische Verabschiedung des Haushaltsentwurfs der Regierung protestieren. „Denn“, so Solidarność- Vorsitzender Marian Krzaklewski, „dieses Budget ist sozial unausgewogen und wachstumsfeindlich.“ Wer wo und wie lange streiken wird, hält die Gewerkschaft jedoch geheim. Die Regierung soll gehindert werden, mit Zugeständnissen an einzelne Betriebe die Streikfront aufzubrechen.

Lahmgelegt werden sollen vor allem strategische Punkte: Die Telekommunikation, der Güterverkehr der Eisenbahn und staatliche Behörden. Gerade bei Post und Eisenbahn zählen die durchschnittlichen Einkommen aber zu den höchsten des Landes. Für Vertreter der regierenden Koalition aus exkommunistischen Sozialdemokraten und Bauernpartei sind die Proteste der Solidarność daher vor allem politisch begründet.

Solidarność, die von einer breiten Bürgerbewegung Ende der achtziger Jahre zu einer krisengeschüttelten Gewerkschaft mit weniger als zwei Millionen Mitgliedern geworden ist, sieht in der neuen politischen Lage nach den letzten Wahlen eine Chance, über Proteste und Streiks wieder zu neuem Einfluß zu gelangen. Denn in den letzten vier Jahren hatte sie stets politische Rücksichten auf die aus der Solidarność-Bewegung hervorgegangenen Regierungen nehmen müssen, während die ehemals kommunistischen Gewerkschaften des OPZZ-Dachverbandes sie mit populistischen Forderungen und Streiks permanent links überholt hatten. Seit den Wahlen vom 19. September haben sich die Fronten verkehrt. Nun müssen die OPZZ-Gewerkschaften auf die Regierung Pawlak Rücksicht nehmen, während Solidarność und ohne politische Hemmungen protestieren kann.

Dabei stellt die Gewerkschaft, die sich selbst „rechts“ und „antikommunistisch“ nennt, häufig Forderungen auf, die noch im Wahlkampf von OPZZ und den jetzigen Regierungsparteien vertreten wurden. Zuletzt protestierten Solidarność-Bergleute zugleich gegen steigende Energiepreise und für höhere Löhne im Kohlebergbau — Forderungen, die sich gegenseitig ausschließen. Jetzt verlangt Marian Krzaklewski eine Senkung der Energiepreis-Steigerungsrate auf das Inflationsniveau und Lohnerhöhungen im Bergbau um 300.000 Zloty (cirka 30 Mark) monatlich, bei gleichzeitiger Arbeitszeitverkürzung um zwei Stunden die Woche. Mit dem Streikaufruf verbinden nicht wenige Solidarność-Vertreter aber auch die Hoffnung, ihre Organisation zur einigenden Kraft der zersplitterten rechten Parteien zu machen. Zur Zeit sind diese in zwei miteinander konkurriende Blöcke gespalten.

Mit der Annahme des Haushaltsentwurfs der Regierung, den diese nur mit massivem Druck auf ihre Abgeordneten durchs Parlament gebracht hat, ist der Spielraum für Verhandlungen über die Budgetforderungen der Solidarność zwar weitgehend erschöpft. Ein Hintertürchen hat sich Premier Pawlak allerdings offen gehalten: Sollten die Staatseinnahmen höher als geplant sein, könnte der Budgetplan novelliert werden. Die Proteste der Solidarność bringen die Regierung zugleich in eine schwierige Lage, da einiges darauf hinweist, daß ihre eigene Basis mit vielen Forderungen der Solidarność sympathisiert. Vier Abgeordnete der Koalition haben deshalb auch gegen das Budget gestimmt; sie verloren postwendend ihre Mitgliedschaft in der sozialdemokratischen Fraktion. Zu ihnen gehört der Vizechef der OPZZ, Stanislaw Wisniewski, nach dessen Ansicht viele Mitglieder der OPZZ den Streik der Solidarność unterstützen werden. Denn im Grunde fordern die „Antikommunisten“ ja nur das ein, was die Regierungsparteien im Wahlkampf versprochen haben, ohne es halten zu können: Weniger reformbedingte Härten, höhere Einkommen, mehr Sozialausgaben.