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Bullen im Land der Känguruhs

In Australien scheint die Rezession überwunden zu sein / Rationalisierungsschub der Betriebe nach der Öffnung des heimischen Marktes  ■ Aus Adelaide Norbert Faber

Wovon Helmut Kohl in Bonn nicht zu träumen wagt, Paul Keating, der australische Regierungschef in Canberra, hat es greifbar vor Augen: das Ende einer jahrelangen Rezession und den kräftigen Wirtschaftsaufschwung, der seine Regierungszeit ins nächste Jahrtausend verlängern soll. Seit die eher vorsichtige Reserve Bank ihr Januar-Bulletin veröffentlichte, herrscht Euphorie auf den Wirtschaftsseiten der australischen Zeitungen. „Time to say goodbye to recession blues“, jubelt der Advertiser in Adelaide.

Tatsächlich sehen die Zahlen ermutigend aus. Hatte die Regierung in ihrer Prognose im August 1993 noch mit einer Inflationsrate von 3,5 Prozent gerechnet, so korrigierten die Währungshüter diese Zahl jetzt auf 2,3 Prozent herunter. Die Bank berechnete außerdem ein Wirtschaftswachstum, das die Erwartungen übertraf: In der zweiten Jahreshälfte 93 betrug es bereits 3,5 Prozent statt der anvisierten 2,75 Prozent. Bis Juni soll diese Zahl noch besser aussehen. Mit vier Prozent Wachstum rechnen inzwischen die meisten Fachleute und sagen mindestens 60.000 neue Jobs in den nächsten drei Monaten voraus.

Unterstützt werden die Federal Reserve Banker von einigen Wirtschaftsforschungsinstituten. Sie haben sowohl bei den Unternehmen als auch bei den Konsumenten eine deutliche Einstellungsänderung ausgemacht: Bis zu 60 Prozent der verarbeitenden Industrie erwartet demnach mehr Aufträge, höhere Profite und Beschäftigungszahlen. Und bei Baukrediten wurde im vergangenen Jahr ein satter Zuwachs von 35 Prozent verzeichnet.

Was steht hinter den schönen Zahlen? Der Wohlstand Australiens wurde bis in die achtziger Jahre hinein durch seinen Reichtum an Bodenschätzen und landwirtschaftlichen Produkten erwirtschaftet. Die verarbeitende Industrie produzierte, geschützt hinter Zollmauern und begrenzten Importkontingenten, hauptsächlich für den Inlandsmarkt.

Fallende Rohstoffpreise aber machten diese Arbeitsteilung immer fragwürdiger und beschleunigten die Rezession. „Wir müssen uns alle darüber im klaren sein, daß diese Welt von fünfeinhalb Milliarden Menschen den siebzehn Millionen Australiern weder einen bequemen Wohlstand schuldet noch geben wird“, erkannte schon 1992 Bob Hawke, der Vorgänger von Paul Keatings, der genau wie dieser der Labor Party angehört. Er begann damals, fleißig Importbeschränkungen abzubauen.

Dem rauhen Klima der internationalen Konkurrenz ausgesetzt, begann in der verarbeitenden Industrie ein Modernisierungs- und Umstrukturierungsprozeß, der bis heute eine etwa zehnprozentige Produktivitätssteigerung zur Folge hatte. Prompt begannen die wettbewerbsfähig gewordenen Industriezweige ihren Anteil am Exportkuchen langsam zu vergrößern.

Dennoch bleibt Australiens Abhängigkeit vom Export von Kohle, Edelmetallen, Weizen und Wolle bestehen. Aber auch deren Marktlage scheint sich allmählich zu verbessern. In den USA, neben Japan Hauptabnehmer australischer Waren, zieht die Konjunktur wieder an, und damit wächst die Nachfrage nach Rohstoffen. Das gleiche gilt auch für das kontinuierliche Anwachsen des asiatischen Wirtschaftsraums. Die wichtigsten Abnehmer nach Japan und den USA heißen Korea, Singapur, Neuseeland, Taiwan sowie Hongkong. Deutschland liegt erst auf Platz zwölf der Liste der Importeure. Die zwölf bedeutendsten der ASEAN-Länder rechnen mit einem Wachstum für 1994 von sieben Prozent; da ist das nahe Australien nicht nur als Rohstofflieferant interessant. So wird der neue Flughafen in Hongkong durch eine Computerfirma aus Adelaide ausgestattet.

Rückschläge beim Weg aus der Rezession sind nicht auszuschließen. Kohle, mit 13 Prozent Exportanteil (etwa 6,5 Milliarden Aussie- Dollar) wichtigster Exportrohstoff, wird in diesem Jahr erheblich billiger verkauft als vorher. Beim Hauptabnehmer Japan rauchen rezessionsbedingt die Schornsteine nicht mehr so heftig, und Kanada ist mit Dumpingpreisen auf dem Weltmarkt. 365 Millionen Dollar weniger werden so in die Kassen der Bergwerksgesellschaften fließen. Letztere werfen der Labor-Regierung gerne vor, sie behindere aus Rücksicht auf den linken Parteiflügel und unter dem Druck der Umweltschützer und Ureinwohner Produktionsausweitungen. Blankes Unverständnis herrschte bei den Minengesellschaften, als man ihnen verbot, im Kakadu-Nationalpark nach den dort vorhandenen Goldvorkommen herumzuwühlen.

Ein Problem macht Paul Keating vor allem zu schaffen: Rationalisierung – das heißt in Australien wie überall auch Vernichtung von Arbeitsplätzen. Im Dezember 92 hatte man so den traurigen Rekord von 11,7 Prozent Arbeitslosigkeit erreicht. Ein Durchschnittswert, der verdeckt, daß in manchen Gebieten bis zu 20 Prozent arbeitslos wurden und der nichts aussagt über den sozialen Sprengstoff einer noch höheren Jugendarbeitslosigkeit.

Tony Evans, Wirtschaftsexperte im ACT, dem Dachverband der australischen Einzelgewerkschaften, geht davon aus, daß unter günstigen Bedingungen durch das erwartete Wirtschaftswachstum die Arbeitslosenrate bestenfalls auf sieben bis neun Prozent heruntergedrückt werden könne. Der ACT fordert daher von der Labor- Regierung Arbeitsbeschaffungsprogramme, etwa im Umweltbereich, um so gezielt gegen Jugend- und Langzeitarbeitslosigkeit vorgehen zu können.

Arbeitszeitverkürzung als Hebel zur Beseitigung von Arbeitslosigkeit wird auf dem fünften Kontinent hingegen so gut wie nicht diskutiert. Nur aus den kleinen linken Parteien wird dieser Gedanke ins Spiel gebracht, allerdings ohne große Resonnanz.

Mehr Öffentlichkeitswirksamkeit erzielt dagegen die Regierung mit ihrer „Buy Aussie – Buy Jobs“- Kampagne. Paradoxerweise soll jetzt der Konsument durch sein Kaufverhalten für geringere Importe und so in der heimischen Industrie für Arbeitsplätze sorgen. Und die Regierung geht mit leuchtendem Vorbild voran. Für die milliardenschweren Bau- und Beschaffungsmaßnahmen der verschiedenen Bundesämter wird jetzt eigens ein Koordinierungsgremium geschaffen, das auf nationalbewußtes Einkaufsverhalten achten soll. Ob es hilft, weiß keiner so recht. Gut für die Stimmung ist es allemal. Jedenfalls haben die Bullen an der Börse in Sydney zur Zeit die Oberhand.

Und so brachte denn auch die letzte Time-Morgan-Umfage zum Wahlverhalten der Australier dem Amtsinhaber Keating nach langer Flaute einen deutlichen Vorsprung vor seinem Herausforderer Hewson. Und was wird aus Helmut Kohl?

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