„Frauen werden als stille Reserve auf dem Arbeitsmarkt gehandelt“

■ Interview mit Ulla Derwein, Mitglied des geschäftsführenden Hauptvorstands der Gewerkschaft ÖTV, über Arbeitszeitverkürzungen

taz: Die Ankündigung, alle Stellen in Bundesbehörden künftig auch als Teilzeitstellen auszuschreiben, kam nicht etwa vom zuständigen Bundesinnenminister, sondern von Frauenministerin Angela Merkel. Ist Teilzeit Frauensache oder ein arbeitsmarktpolitisches Instrument?

Ulla Derwein: Ich fürchte, die Teilzeitinitiative der Bundesregierung wird in erster Linie ein Angebot für Frauen. Das finde ich bedauerlich. Teilzeit ist aber auch kein hinreichendes arbeitsmarktpolitisches Instrument. Die ÖTV, die mit einer Teilzeitinitiative in diese Tarifrunde gegangen ist, will erst mal die Bedingungen verbessern. Regelungen im Bundesangestelltentarif BAT, die teilzeitbeschäftigte Frauen schlechterstellen, müssen weg.

Welche Regelungen sind das?

Das betrifft etwa die Überstundenzuschläge, die nicht ausgezahlt werden, solange die sogenannte betriebsübliche wöchentliche Arbeitszeit nicht überschritten wird.

Das heißt, wenn jemand, der oder die für 20 Stunden eingestellt ist, jeoch 38,5 Stunden arbeitet, er/ sie für die 18,5 Extrastunden keinen Überstundenzuschlag erhält?

Das stimmt. Darüber hinaus gibt es ungünstige Regelungen, die die Beihilfen betreffen. Wer weniger als die Hälfte der „betriebsüblichen Arbeitszeit“ arbeitet, bekommt die Beihilfen nicht. Außerdem sind solche Arbeitnehmer von der Unkündbarkeit ausgeschlossen. Und da gibt es noch viel mehr.

Mich wundert, daß ausgerechnet Sie Teilzeit als ein arbeitsmarktpolitisches Konzept in Frage stellen.

Für die Frauen kann Teilzeit eine Falle sein. Das hat doch zwei Seiten: Es gibt viele Frauen, die Teilzeit arbeiten wollen, und die sollten es auch können. Aber Teilzeit ist nicht das arbeitsmarktpolitische Mittel der Zukunft. Das wäre eher eine heftige Arbeitszeitverkürzung für alle.

Also fordern Sie eine Arbeitszeitverkürzung, zu der alle – auch die Männer – gezwungen sind?

Ja, das wäre das Mittel der Wahl. Außerdem fordern wir – anders als die Parteien – ein volles Rückkehrrecht für diejenigen, die nach einer Teilzeitepisode wieder ganztags arbeiten wollen.

Ein Rückkehrrecht jederzeit?

Ich denke, man wird für die Arbeitgeber bestimmte Fristen einhalten müssen. Eine Möglichkeit wäre, daß man sich jährlich entscheiden muß.

Sie haben gesagt, Teilzeit kann eine Falle sein. Das scheint vor allem für Karrierewünsche sowie die Ansprüche auf Arbeitslosengeld und Rente zu gelten.

Diese drei Punkte sind tatsächlich problematisch. Es gibt diesbezüglich Forderungen von der ÖTV an die Parteien. Das kann ja nicht tarifvertraglich geregelt werden, sondern müßte per Gesetz geschehen. Die SPD ist uns da auch weiter entgegengekommen als die Bundesregierung. Diese will – zumindest für eine bestimmte Frist – die Arbeitslosenversicherung in voller Höhe erhalten, wenn jemand von Vollzeit auf Teilzeit geht. Bei der Rentenversicherung soll das nach dem Willen der ÖTV genauso sein.

Und was ist mit der Karriere? Die wird man nicht gesetzlich schützen können.

Da wäre es überaus wünschenswert, wenn sich in den Köpfen der Männer etwas ändern würde. Karrieren von teilzeitbeschäftigten Frauen werden solange nicht möglich sein, wie nicht auch Männer Teilzeit arbeiten.

Wie kann man die motivieren?

Es müßte Vorzeigemänner geben. Wie wäre es zum Beispiel, wenn Bundeskanzler Kohl mit gutem Beispiel vorangehen würde?

Die Idee hat was. Wie viele Männer im öffentlichen Dienst arbeiten denn zur Zeit Teilzeit?

Von derzeit 900.000 Teilzeitbeschäftigten sind nur knapp 100.000 Männer. Wobei Teilzeit nicht mit halbtags gleichzusetzen ist. Das können auch zum Beispiel Dreiviertelstellen sein.

Um eine politische Bewertung zu versuchen: Frauen werden von jeher als die stille Reserve auf dem Arbeitsmarkt gehandelt ...

... genau, wenn es viel Arbeit gibt, werden sie gerufen. Gibt es wenig Arbeitsplätze, werden sie nach Hause geschickt.

Demnach ist Teilzeit die neue, etwas progressivere Variante eines alten Spiels?

So muß man das wohl sehen. Gespräch: Silvia Schütt