„Unsere Frauen macht keiner an“

Seit fünf Jahren betreuen drei Sozialarbeiterinnen in Bremen Mädchen in rechten Jugendcliquen / Mit dem Selbstbewußtsein der jungen Frauen ist es nicht weit her  ■ Aus Bremen Christine Holch

Sie tragen lange Haare und wollen Krankenschwester oder Hotelfachfrau werden – viele Mädchen in rechten Cliquen unterscheiden sich auf den ersten Blick in nichts von anderen Mädchen. Das Stückchen rasierter Haut im Nacken, das interne Erkennungszeichen, ist versteckt unter der Haarmähne. Doch auf Freizeitfahrten lassen sich die Mädchen von den Jungs Sätze gefallen wie: „Macht gefälligst die Betten, wozu haben wir euch schließlich mitgenommen.“ Oder es heißt: „Sauf nicht soviel, ich mag keine besoffenen Frauen.“ Und sie lassen sich beschimpfen als Hure und Schlampe. Manchmal wundern sich selbst die drei Sozialarbeiterinnen Elke Lutzebäck, Carola Storm und Gisela Schaar über diese Beziehungen. „Viele Jungs entsprechen so gar nicht dem Traumbild von Mann, und dann haben sie diese wirklich hübschen Mädchen.“

Die drei Frauen arbeiten seit fünf Jahren mit rechten Jugendcliquen in Bremen. „Akzeptierende Sozialarbeit“ nennt sich ihr Ansatz. Zentrale These dieser Arbeit: Es interessieren weniger die Probleme, die die Jugendlichen machen, als die Probleme, die sie haben. Die SozialarbeiterInnen heißen rechte Einstellungen zwar nicht gut, verdammen die Jugendlichen deshalb jedoch nicht. Da als rechtsradikal und gewalttätig bislang vor allem die männlichen Jugendlichen auffielen, liefen die wenigen Mädchen in solchen Cliquen eher mit. „Unsere Erfahrungen müssen nicht repräsentativ für alle rechten Mädchen sein“, sagen deshalb die drei Bremerinnen. Auffällig bei den Mädchen sei, so Elke Lutzebäcker, daß sie „nicht gerade selbstbewußt“ seien, „die wissen oft gar nicht, wie gut sie aussehn. Und das nutzen die Jungs: Sie werten sich auf, indem sie die Mädchen abwerten.“ Dafür dürfen die Mädchen an der demonstrierten Stärke der Jungs teilhaben.

Fast alle Mädchen sind über Jungs in die Clique gekommen. „Die fühlen sich eher von dieser Art von Männern angezogen, als daß sie selber ideologisch so drauf wären.“ Sicher, ausländerfeindlich eingestellt sind auch die Mädchen, sie reden gern und ausführlich über die „Kanaken“, die sie „angemacht haben“. Doch auch wenn sie ausländerfeindlich sind, wollen sie doch mit Straftaten nichts zu tun haben. Diese Beobachtung deckt sich mit den Statistiken: Denn rechte Gewalttaten werden fast ausschließlich von Männern verübt, rechtsextreme Einstellungen finden sich jedoch bei Männern und Frauen gleichermaßen. Oft seien die Mädchen dennoch die eigentlichen Regisseurinnen der Prügleien, sagt Gisela Schaar: Sie sorgen bei den Jungs für Eifersucht, indem sie genüßlich und mit allen Details erzählen, wer sie wieder angebaggert habe. So lange, bis die Jungs kampfbereit sagen: „Unsere Frauen macht keiner an“ und sich ins Getümmel stürzen. Dann stehen die Mädchen drumherum und kreischen vor Begeisterung. Die Wissenschaftlerin Birgit Meyer beschreibt dieses Verhalten so: Frauen lassen kämpfen, sie lassen sich dominieren und erhalten dafür männlichen Schutz und Teilhabe an der symbolischen Macht des Stärkeren.

Neben den „Schönen“ gibt es in den rechten Cliquen noch eine zweite Sorte von Mädchen: die Renees, die Skinmädchen. Sie sind kahlrasiert bis auf die Randhaare, tragen immer Doc Martens und Bomberjacken, spielen mit Springmessern. Die rechten Gruppen erlauben durchaus widersprüchliche Rollen für Mädchen: die fast ebenbürtige Kameradin genauso wie die Dienerin.

S. zum Beispiel ist keinesfalls eine Mitläuferin, sondern ein Mädchen, das aufgrund der trinkenden Eltern stark sein mußte – mit den daraus folgenden Aggressionen fühlt sie sich jedoch nur in der rechten Szene verstanden. Kaum aber sind diese Skinmädchen mit Jungs liiert, werden sie oft genauso beschimpft wie die anderen Mädchen. Eifersüchtig beäugen die Mädchen den respektierlichen Umgang der Jungs mit den Sozialarbeiterinnen. Diese werden nicht beschimpft, sondern als Ersatzmütter und Ratgeberinnen in Sachen Liebe gebraucht. Gleichzeitig heißt es schnell: „Ihr seid für uns zuständig, weil wir Rechte sind.“ Gelingt es den Sozialarbeiterinnen dann doch, die Mädchen aus der Clique herauszulösen, geschehen die erstaunlichsten Dinge: Eine Mädchengruppe hatte die Idee, den Jungs einzeln peinliche Fragen zu stellen und sie dabei zu filmen. Eine outete ihren dicken Freund als Slim-Faster.

Daß man mit den Mädchen aber auch sein blaues Wunder erleben kann, wenn man sie stärken will und beispielsweise mit ihnen allein ausgeht, weiß Carola Storm zu berichten. Sie besuchte mit ihren Mädchen den Film „Abgeschminkt“. Die ahmten unerwarteterweise die Jungs nach, fielen schon stocktrunken aus der Straßenbahn, gröhlten im multikulturellen Viertel „Kanaken raus!“ und flogen anschließend fast aus dem Kino. „Am liebsten wär' ich aufgestanden und hätte gesagt, ich gehöre nicht dazu“, erzählt Carola Storm. Als die Mädchen dann ausgerechnet noch in einen türkischen Imbiß wollten, setzte sie doch eine Grenze – denn auch das gehört zur akzeptierenden Jugendarbeit: „Hier keine Parolen“, sagte sie streng. Da besann frau sich auf ihre Mädchenrolle.

Nur selten sind solche Unternehmungen möglich – nicht zuletzt deshalb, weil die Mädchen nicht von den Jungs getrennt werden wollen: sie fühlen sich eh schon vernachlässigt von ihnen, was Zärtlichkeit und Gespräche angeht. Denn für die männlichen Jugendlichen steht die Männer-Kameradschaft immer noch an erster Stelle. Ein Nachmittag allein mit der Freundin bedeutet dagegen nur Streß. Carola Storm hat jetzt den Dreh gefunden, daß sie schon um 15 Uhr am Treffpunkt ist: Dann kommen die Mädchen aus der Schule, die Jungs sind aber noch auf der Arbeit. „Aber selbst in dieser Zeit gucken die Mädchen bestimmt 30mal aus dem Fenster, ob nicht schon einer kommt.“ Denn das wichtigste für sie ist die Beachtung durch die Jungs, das ist die ewige Sehnsucht, die sich nie erfüllt. Aber vielleicht wird es heute besser, hoffen sie inbrünstig, vielleicht guckt er ja heute mal her.