Blick voraus im Zorn

■ Heute ist Frauenstreiktag. Na prima – und was ist morgen? Wir empfehlen: den Muff vernetzen.

Die heißen Zeiten: passé. Keine Go-ins, keine Demos, keine Pflastersteine in Sex- Shop-Fenster mehr oder Aufmüpfigkeiten in Parlaments- und Gerichtssälen.

Statt dessen rangeln die Damen von der „Frauen-Anstiftung“ um Staatsknete, die Gleichstellungsministerinnen geben sich mit den feministischen Projekten auf der Düsseldorfer „top“ ein Stelldichein. Die Frauenbewegung töpfert und tanzt, macht Frauenhausarbeit, sitzt am Krisentelefon, berät in Gesundheitsfragen und bei Ärger mit dem Arbeitsamt.

So könnte es weitergehen. Wir sind nicht zufrieden, aber es hat sich doch einiges zum Positiven entwickelt. Es gibt mehr Frauen im mittleren Management als vor zwanzig Jahren, mehr Frauen in den Parlamenten, in den Unis und in „Männerberufen“, bei Polizei und Staatsanwaltschaft mehr Sensibilität gegenüber den Opfern männlicher Gewalt. Und mehr Engagement in den Gewerkschaften gegen Busengrapscher.

So könnte der Fortschritt – auch ohne daß die Frauen in den Straßen randalieren – schön langsam voranschreiten. Wenn, ja wenn der Backlash nicht wäre. Und zwar nicht nur das von Susan Faludi konstatierte „Die Männer schlagen zurück“, sondern auch die radikale gesellschaftliche Wende, die unsere Regierung unter dem Stichwort „Krise“ eingeleitet hat. Der Generalangriff auf Löhne, Gehälter, Masseneinkommen, Tarifverträge und gesicherte Beschäftigungsverhältnisse ist gestartet. Erste Ergebnisse sind bereits festzustellen: in der flächendeckenden Entsolidarisierung der Gesellschaft.

Krisenzeiten sind Zeiten des Backlash. „Vater“ Staat rollt nicht nur das soziale Netz ein, er streicht auch die Staatsknete zusammen. Frauenhäuser, Notrufgruppen, feministische Gesundheits- und Beratungszentren müssen schließen oder zumindest ihre Dienste einschränken und Beschäftigte entlassen, weil Zuschüsse nicht mehr gezahlt, ABM-Stellen gestrichen werden.

Das sind nun die Fakten. Und was tun wir?

Wir können jammern. Das tun wir ausgiebig. Wir können unsere alten, immer noch richtigen Forderungen herbeten. Auch das wird gemacht. Wir können uns von unseren alten Programmen abwenden und uns einen gänzlich anderen Feminismus zurechtbasteln. Auch das geschieht. Nicht wenige ehemalige Radikalfeministinnen haben die „Geschlechterdifferenz“ entdeckt und verkünden, wie einst die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (AsF) in den siebziger Jahren: „Frauen, laßt die Pfoten von den Quoten.“ Dem Patriarchat wird ein angeblich weibliches „Eigenes“ entgegengesetzt. Motherhood is beautiful – aber ob das Patriarchat bekämpft werden kann, indem frau sich fröhlich zu den alten Geschlechterstereotypen bekennt? Die Fragen „Wo stehen wir?“, „Wohin gehen wir?“ klingen entsprechend bänglich.

Die alten Inhalte schmecken irgendwie abgestanden, der ewige Kampf gegen den Paragraphen 218, die Quotierungsforderungen, die wiederholten Anklagen gegen die weibliche Armut, gegen die Ausgrenzung alleinerziehender Mütter, die verweigerten Aufstiegschancen, die sexistische Gewalt, die ungerechte Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern, die bürokratische Gewalt gegen MigrantInnen – mehr Pflichtprogramm als begeistert und wütend vorgetragene Forderungen. Auch die Flugblätter zum heutigen 8.März haben einen leicht muffigen Geruch. Feministinnen verstehen sich weiterhin als Anwältinnen aller weiblichen Mühseligen und Beladenen. Aber es fällt ihnen nichts Rechtes ein, wie die Gesellschaft so verändert werden kann, daß die Ausgegrenzten integriert werden, daß wir alle teilhaben können am Reichtum dieser Gesellschaft.

Die alten Forderungen müffeln nicht, weil sie falsch wären, sondern weil sie beschränkt sind. Das Sozialarbeiterinnen- Syndrom, an dem die Frauenbewegung schon länger laboriert, es holt uns wieder einmal ein. Es fehlt uns an gesellschaftlicher Phantasie – und an Mut, die uns vom Patriarchat zugestandenen Betätigungsfelder zu verlassen. Wir müssen uns für die Steuerungsmechanismen dieser Gesellschaft interessieren, für Wirtschaft und Finanzen, für Investitionsplanung und Außenwirtschaft, für Forschungs-, Technologie-, Struktur- und Arbeitsmarktpolitik. Frauenpolitik, so einige grüne Obermakker, ist ein „weiches“ Ressort, auf das nach der Niedersachsen-Wahl verzichtet werden kann. O.k., machen wir daraus etwas Hartes, zum Beispiel ein Frauenministerium, das auch für Arbeitsmarkt- und Strukturfragen zuständig ist. Kompetente Frauen zur Übernahme gesellschaftlicher Steuerhebel stehen bereit.

Neben Frauen an den Hebeln gesellschaftlicher Macht braucht es eine breite Vernetzung zwischen Frauen in autonomen Zusammenhängen und in Institutionen. Die für den heutigen Frauenstreiktag geschlossenen Bündnisse auch zwischen Ost- und Westfrauen sind ein guter Ausgangspunkt. Vom Unabhängigen Frauenverband (UFV) wird immer wieder mal ein bundesweiter feministischer Zusammenhang angeregt. Da es die feministische Öffentlichkeit in der basisdemokratischen Form der Siebziger nicht mehr gibt, müßte dieser Verband feste Organisationsformen aufweisen. Ich stelle ihn mir als politisch hochmotivierte, schlagkräftige Lobby vor, das Netzwerk dagegen als lockeres, von Fall zu Fall zu aktivierendes Verhältnis auch politisch unterschiedlich denkender Frauen. Zusammen wird es uns gelingen, frech und unverschämt zu werden. Und unsere Forderungen umzusetzen, bevor sie alt und muffig werden. Claudia Pinl